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WLAN ist die Apokalypse des Stadionerlebnisses

Der FC Bayern will freies WLAN in der Allianz-Arena einführen. "Endlich!", werdet ihr denken. Doch ausgerechnet in England wird schon gegen den freien Internetzugang protestiert. Denn wo es freies Internet gibt, gibt es keine Gemeinschaft.
Foto: Imago

Bundesliga. 8. Spieltag. 9. Oktober 2016. „Wuhuuu, we are watching Bayern vs. Dortmund in the Allianz Arena", schreien vier junge Mädchen in ihr Handy. Marco Reus dribbelt sich derweil an David Alaba vorbei und schießt aufs Tor. Manuel Neuer streckt sich vergeblich. Der Ball prallt von der Latte auf die Torlinie–oder doch dahinter? Eine Hand voll Fans springt auf, freut sich und singt lautstark ein Lied–alles mit Smartphone-Aufnahme inklusive. „Das war kein Tor", schreit ein anderer Typ und zeigt die Hawk-Eye-Grafik auf dem Smartphone seines Sitznachbars. Zwei BVB-Fans machen noch schnell ein Selfie-Video und erklären die Lage, während im Hintergrund die Spieler mit dem Schiedsrichter diskutieren.

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Was sich nach weit entfernter Zukunft anhört, ist in vielen Fußballstadien in Europa schon Alltag. In der Premier League bietet fast jedes Stadion kostenfreies WLAN für alle Zuschauer an. Fans sollen in sozialen Medien ihre Erlebnisse mit ihren Freunden teilen, für einen Stadionbesuch werben, die Marke des Vereins im Gespräch halten und deren Wert im besten Fall steigern. Aber auch Statistiken zum Spiel, die Zwischenstände anderer Partien oder gar mal eine Zeitlupe in HD sollen dem Zuschauer seinen Stadionbesuch versüßen. Ein moderner Fan erwartet den umfangreichen Internetzugang im Jahr 2015 vielleicht nicht überall, aber er nutzt ihn, wenn er kann und darf.

In der Bundesliga können seit 2014 die Fans in Leverkusen und auch seit kurzen in Dortmund und auf Schalke kostenfrei ins Internet. Der FC Bayern, Branchenprimus und über 30 Millionen-Facebook-Likes schwer, verkündete schon vor Monaten „die Allianz Arena zu einem multimedialen Erlebnisraum zu entwickeln", wie es auf der Vereins-Website hieß. Für den Event-Fan ist die Einführung des freien Internets im Stadion wohl die beste Erfindung seit der vegetarischen Bratwurst, den Konterfei-Fanschals eines Starspielers oder die Möglichkeit Popcorn zu bestellen.

In anderen Ländern treten aber schon heute die negativen Seiten der drahtlosen Rundum-Vernetzung auf. Die Fans des PSV Eindhovens protestierten im letzten Jahr gegen das freie WLAN im heimischen Philips-Stadion, da ihrer Meinung nach die Stimmung darunter leiden würde. Auch beim FC Liverpool beschweren sich die ersten Fans über zu viele Fans, die ständig auf ihre Smartphones schauen. Die Grenze ist dabei noch lange nicht erreicht.

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Der Schiedsrichter gibt das Tor von Marco Reus. Mir gefällt das. Ich muss mein Glück teilen. Am besten auf allen Kanälen. Vor dem Spiel war ich noch in einem Münchner Brauhaus und habe den BVB-Fans beim Singen ihrer Lieder zugehört–alles via App, ich war natürlich nicht wirklich da. Kurz vor dem Spiel hat mir das Bayern-Museum die größten Triumphe des Rekordmeisters gegen den BVB auf mein Handy geschickt. Mein Kumpel Fabian ist wohl auch im Stadion. Er hat bei Foursquare in der Arena eingecheckt und sich per App sofort mal Brezel und Bier vorbestellt. Auch das kann ich sehen. Bayern ist jetzt stärker und drängt auf das 1:1, sagt meine Statistik-App und ein Fan über Video-Livestream aus Sri Lanka, der sich selbst als Experte beschreibt. Ich weiß auch nicht warum ich das gucke, aber warum sollte ich nicht, ich kann es ja. Ich sitze während des Spiels im Oberrang, aber dank einer App kann ich mich mal im stimmungsvollen Fanblock verlieren, oder über Twitter der Expertenmeinung von Boris Becker aus einer VIP-Loge widersprechen.

Der Video- und Bild-Messengerdienst „Snapchat" bietet schon seit einiger Zeit mit den individuellen Aufnahmen und Einblicken von Fans eine „Geschichte" eines Events für die Daheimgebliebenen an. Vor einigen Monaten konnten die Snapchat-User für 300 Sekunden in das Spiel zwischen dem FC Liverpool und Manchester United mit allem Drumherum eintauchen. Auch die Twitter-Livestream-App „Periscope" will es einfacher machen die direkten Erlebnisse der Fans in Echtzeit zu teilen. Schon jetzt können Pressekonferenzen vom Smartphone oder PC ganz einfach live verfolgt werden. Das führt für viele Ligen zu einem Konflikt. Einerseits schreiten die Möglichkeiten der Vernetzung und die Digitalisierung immer weiter voran, andererseits zahlen Medienunternehmen Milliarden für die exklusiven Bildrechte. Die Premier League-Verantwortlichen wissen, dass sie die Videos von Toren, Spielsituationen und Zusammenfassungen auf Plattformen wie Youtube oder Vine nicht verhindern können, deshalb gehen sie in einer großen Offensive gegen die Leute vor, die die Inhalte hochladen. Die Videos werden gesperrt oder gelöscht, eine Klage droht. Dennoch ist es auch ohne Pay-TV-Anschluss heutzutage so einfach wie nie Spielhighlights kurz nach der Partie oder gar illegale Livestreams im Internet zu finden.

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Eindrücke der Fans in der Snapchat-Story vom Spiel FC Liverpool gegen Manchester United

Die digitalen Erneuerungen sollen dem Fan zu Gute kommen. Vereine versuchen den Fan mit dem zusätzlichen Service im Stadion zu halten. Gegen das gemütliche Heimkino mit WLAN-Zugang, tausenden Kameraperspektiven in HD-Qualität mit Surround System und Halbzeit-Experten-Talk muss aufgerüstet werden. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die konsequenten Multimedia-Anstrengungen der Vereine direkt im Stadion so sinnvoll sind.

Schon heute vernichten nicht nur die dreisten Tablet-Touristen mit ihren Selfies und Videos das so geliebte authentische Flair im Stadion. Auch jeder andere Fan kennt den in Gedanken verlorenen und mittlerweile völlig automatisierten kurzen Blick auf das Smartphone, die Whatsapp-Nachricht oder die Facebook-Timeline. Oder es ist der Schnappschuss für die Freunde oder die Instagram-Follower von einer Choreo, Pyro-Action im Auswärtsblock oder dem lustigen Sitznachbarn auf der Gegengeraden. Was fehlt sind die Momente, wofür man ins Stadion geht. Es sind die Emotionen, die vom Feld und der Masse drumherum bis in deine Fußspitzen gelangen, deine Hände zum Zittern bringen und den betrunkenen und stinkenden Typen neben dir beim Torjubel in deine Arme katapultieren. Nur in diesen 90 Minuten kommt es zu diesen zwischenmenschlichen Momenten und den wahren Gefühlen, die einen die Probleme der Außenwelt vergessen lassen, aus dem Chefarzt den Sitzplatzpöbler und dem enttäuschten Arbeitlosen den Strahlemann machen.

Bayern verliert das Spiel gegen den BVB mit 0-1 an diesem sommerlichen Herbsttag im Jahr 2016. Ich bleibe noch im Stadion sitzen und schaue mir die feiernde Mannschaft an. Natürlich nicht auf dem Feld, sondern auf Instagram, wo sie halbnackte Bilder und Videos von sich aus der Kabine hochgeladen haben. Dieser Tag im Jahr 2016 wird ein grauenhafter Tag: Im Stadion wird mich keiner dieser Handy-Hänger stören, denn ich bin dann schon einer von ihnen.

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