Foto vom Elefantenfuß in Tschernobyl
Titelbild: PNNL Library

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Der Mann, der im Keller von Tschernobyl auf einen Elefantenfuß traf

Die tragische Geschichte hinter dem strahlendsten Selfie seit Erfindung der Atomenergie.

Im havarierten Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl liegt ein Elefantenfuß im Keller. Das zumindest behaupten die Arbeiter, die den Reaktor, der am 26. April 1986 explodierte, säubern mussten und dabei auf eine gigantische Skulptur stießen. Im Keller, in den eine toxische Mischung aus dem Reaktorkern gesickert war, hatte sich eine gigantische Masse aus radioaktivem Kernbrennstoff, geschmolzenen Reaktorteilen und chemischen Reaktionsprodukten gebildet, die sich mit Beton und Sand in einen über zwei Meter breiten Klumpen verwandelt hatte.

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Die so entstandene lavaartige Mischung wird als Corium bezeichnet—ein Kunstwort aus dem englischen Core für (Reaktor)Kern und der für chemische Elemente charakteristischen Endung -ium. Der Elefantenfuß aus Tschernobyl, der sich unter dem Reaktorboden im Dampfverteilungskorridor befindet, ist die weltweit größte Ansammlung von Corium, einer der giftigsten Substanzen überhaupt.

Die Bilder von Big Foot konnten erst zehn Jahre nach dem Super-GAU aufgenommen werden, da eine Annäherung an die Lavaablagerung direkt nach der Kernschmelze zu einem sofortigen Strahlentod geführt hätte. 1986 wurde die Strahlung der Masse unter dem Reaktor auf 10.000 Röntgen pro Stunde gemessen. Unter Normalbedingungen erzeugt eine Dosis von einem Röntgen pro Kubikzentimeter Luft etwa zwei Milliarden Ionenpaare.

Foto vom Elefantenfuß in Tschernobyl

PNNL Library

Nach nur zwei Minuten in der Nähe der Masse hätten menschliche Zellen zu bluten begonnen, nach vier Minuten wären Erbrechen, Durchfall und Fieber dazu gekommen, nach 300 Sekunden hätte der Mensch nur noch zwei Tage zu leben gehabt. Eine 30-minütige Bestrahlung durch den Elefantenfuß wäre vergleichbar gewesen mit einer Aufnahme von 500.000 Röntgenbildern. In den Wochen nach dem Unglück befand sich eine der größten Herausforderung für die sowjetischen Aufräumarbeiten somit tatsächlich in den Teilen der Anlage, die schwer zugänglich unterhalb der Reaktorkerne lagen: Verzweifelt versuchten sowjetische Rettungskräfte in den Wochen nach dem Unglück ein Einsickern der toxischen Mischung aus dem Reaktor in den Boden und damit in das Grundwasser zu verhindern.

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Das Bild des Mannes, der sich auf so mysteriöse Weise in der Nähe des hochtoxischen Elefantenfußes aufhält, machte seit Ende der 1990er Jahren seine Runden durch das Internet, doch erst im Jahr 2013 gelang es einem ausländischen Journalisten, die Person auf dem Bild zu treffen. Der Amerikaner arbeitete gerade an einem Magazinartikel über den Elefantenfuß, als es ihm gelang, die ursprüngliche Bildunterschrift des Fotos herauszufinden. „Artur Korneev, Deputy Director of Shelter Object, viewing the 'elephants foot' lava flow, Chornobyl NPP. Photographer: Unknown. Fall 1996", stand dort geschrieben.

Wie sich herausstellte, war Korneev eine alternative Schreibweise für Korneyev. Artur Korneyev war an den Arbeiten am Sarkophag beteiligt, einer Hülle aus Beton, Blei und Stahl, die zum Schutz vor der Strahlung über der Anlage installiert wurde. Er hat mehr Zeit als jeder andere in dem kontaminierten Gebiet verbracht und wurde dabei einem historischen Maß an radioaktiver Strahlung ausgesetzt.

Foto vom Elefantenfuß in Tschernobyl

Bild: US Department of Energy

Heute leidet er an grauem Star und anderen gesundheitlichen Problemen und es ist ihm verboten, die Anlage weiterhin zu betreten. Dennoch ist er am Leben. „Wir waren Wegbereiter", sagte der heute 65-jährige gebürtige Kasache gegenüber der New York Times im Jahr 2014. „Wir waren immer an vorderster Front." Neben seinen Arbeiten an dem Sarkophag dokumentierte Korneyev in Zusammenarbeit mit Journalisten auch die Gefahren der von dem Reaktor ausgehenden Strahlung.

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Die Strahlung in der Nähe des Corium war so stark, dass sie sich auch zehn Jahre danach noch auf den Fotofilm auswirkte und für die körnige, unscharfe Qualität des Bildes verantwortlich ist. Da übrigens der Rest der Bilder von Korneyev persönlich aufgenommen worden war und nichts über eine weitere Person bekannt ist, die sich mit ihm in dem Dampfverteilungskorridor aufhielt, ist es anzunehmen, dass Korneyev das Foto mit einem Selbstauslöser persönlich aufgenommen hat. Dafür scheint er eine längere Blende als bei den anderen Bildern ausgewählt zu haben, um genug Zeit zu haben, sich in Position zu bringen. Das würde auch die Lichteffekte erklären, die von den Bewegungen seiner Taschenlampe hervorgerufen wurden.

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Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hatte 400 mal mehr Radioaktivität freigesetzt als die Atombombe von Hiroshima und verseuchte eine Fläche von 142.000 Quadratmetern. Im Reaktor, der zehn Tage brannte, herrschten Temperaturen von 1.000 Grad. Die Menschen, die an dem Unglücksort arbeiteten, nannte man Bioroboter, weil sie selbst da noch arbeiteten, wo die Maschinen längst versagt hatten.

Nun, Jahrzehnte nach der Katastrophe, ist der alte Sarkophag spröde geworden und muss durch einen Neuen ausgetauscht werden. Sollte dieser nämlich einstürzen, trägt der Wind den radioaktiven Staub bis weit nach Europa hinein, denn immerhin lagern neben dem toxischen Elefantenfuß noch 200 Tonnen geschmolzenen Kernbrennstofs und Unmengen radioaktiven Staubs in der maroden Hülle.

Korneyev ist an der Planung für eine neue Sarkophag-Konstruktion beteiligt, die Ende 2017 über den alten drübergestülpt werden soll: Eine Arche, bestehend aus 32.000 Tonnen Teflonplatten, die unsere Atmosphäre vor weiterer Strahlung schützen soll. Doch trotz des jahrelangen Kampfes gegen die Folgen des Super-GAUs geht Korneyev der schwarze Humor nicht verloren: „Sowjetische Strahlung ist die beste Strahlung der Welt". Er ist mittlerweile bekannt für diesen Witz, den er seit 20 Jahren in seinem Repertoire führt.