Filzen, Gin Tasting, Modelleisenbahnen: Wir testen seltsame Hobbys
Auch bei VICE: Drogen, Sex und Tod auf den Mega-Yachten der Milliardäre
Dafür, dass Filz in meinen Augen keine Daseinsberechtigung hat, ist er mir nämlich viel zu präsent. Ich weiß nur so viel: Filz ist irgendein Gewebe, das auf Weihnachtsmärkten feilgeboten wird. Ganze Stände bieten unförmige Beutel an, die von Kathrins und Heikes gekauft werden. Supermärkte machen mit Flyern manchmal auf Filz-Aktionen aufmerksam. Geworben wird dann mit einer glücklichen Familie beim Frühstück. Auf dem Frühstückstisch der Flyerfamilie liegen Filzuntersetzer, Filzbrotkörbe und winzig kleine Filzhüte für Frühstückseier. Das regt mich natürlich doppelt auf, weil Eier ja gar keine Hüte brauchen. Mütter setzen in der Weihnachtszeit Elfen aus Filz mit absurd langen Gliedmaßen auf Fensterbänke. Warum?? Ich weiß es wirklich nicht.
Anzeige
In schwachen Momenten frage ich mich heimlich, ob mein blinder Hass angemessen ist. Vielleicht ist Filz ja schön und ich einfach zu beschränkt, um das zu erkennen. Es verschlägt mich deshalb an den Ort, an dem tagtäglich Schönes geschaffen wird: an die Volkshochschule. Dort habe ich mich zu einem Filzkurs angemeldet.Meine Filzlehrerin Ilona hat feuerrote Haare, ein Piercing in der rechten Augenbraue und einen Tunnel im rechten Ohr. Sie trägt ein Kleid aus Filz, ihre Unterarme wärmt sie mit Stulpen aus Filz. Ilona filzt seit 19 Jahren. Wenn sie mir Filz nicht nahebringen kann, kann es niemand. Ilona lässt direkt zu Beginn des Kurses eine Bombe fallen: "Ihr alle habt schon gefilzt." Nach einer wichtigen rhetorischen Pause fährt sie fort: "Ihr habt nämlich alle schon einmal aus Versehen einen Wollpullover einlaufen lassen, habe ich recht?" Zustimmendes Gemurmel, manche schmunzeln. Besonders meine Filzmitschülerin Rosel scheint sich ertappt zu fühlen und nickt kräftig mit dem Kopf. Sie hat die lieben Augen eines Lämmchens und ich bin mir sicher, dass sie für spontanen Besuch immer Keksmischungen in Blechdosen zu Hause hat. Neben uns sitzen noch zwei weitere Frauen mittleren Alters, die auch schon Pullover verfilzt haben. "Beim Filzen schrumpft man Wolle mithilfe von Seife und warmem Wasser zusammen. Genau das machen wir heute. Wir sind quasi die Waschmaschine." "Nenn mich nicht so", denke ich, lächele aber höflich.
Was ist Filz?
Anzeige
Da war es noch schön: Die Filzblume
Anzeige
Endgegner Wendehut
Wie bei der Frühlingstraumblume beseife und bewässere ich die Wolle nach dem Legen. "Jetzt musst du die Wolle nur noch hin- und herrollen, damit alles schön verfilzt", sagt Ilona. Es folgt ein Todeskampf, den ich am Ende nur knapp gewinnen werde. Ich rolle und knete und rolle und knete. Der Hut wird einfach nicht kleiner. Vor mir liegt ein riesiger Fladen aus Wollfetzen und Seifenwasser. Ein riesiger Klopps, den ich doch sowieso niemals auf meinen Kopf setzen werde. Es sei denn, ich möchte mich irgendwann einmal selbst ersticken, in dem Fall wäre der sogenannte Hut wohl doch ganz praktisch.
Anzeige
Mein Samstag plätschert dahin, wie das Seifenwasser auf meinen Wendehut. Ich könnte jetzt gerade auf dem Sofa liegen, netflixen und dabei TikToks gucken. Stattdessen erschaffe ich etwas mit meinen Händen und höre dabei nicht einmal einen Podcast. Ist das Natur?Nach Stunde vier platzt mir die Hutschnur und ich sage Ilona, dass ich keinen Bock mehr habe. Sie hat Verständnis, lässt mich aber nicht ganz aufgeben. Ich darf am nächsten Tag weiterkneten und für heute Schluss machen. Auch einige andere Filzschülerinnen haben Probleme. Rosel verzweifelt an Stulpen und Pantoffeln, Macarena filzt den ungefähr größten Beutel der Welt. Anja versucht sich auch an einem Hut, gibt aber vorzeitig auf. Nach sieben Stunden filzen tut uns allen alles weh. Hände, Schultern und Rücken sind vollkommen im Eimer und der einen oder anderen fallen die Augen zu (mir). Aber es ist Wochenende und ich muss auf eine Party. Ich bin an diesem Abend kein guter Partygast. Ich sitze bis 0:30 Uhr mit Mia auf dem Sofa und rede mit ihr über Dinge, über die wir schon 100 Mal geredet haben. Und übers Filzen. Mia scheint sich gar nicht so sehr für meinen Hut zu interessieren, weird. Als ein anderer Partygast fragt, ob ich später noch mit den anderen weiterziehe, antworte ich pflichtbewusst: "Ich kann heute nicht lange bleiben, morgen muss ich wieder filzen." Seine Antwort trieft vor Unwissenheit. Ein bisschen wie mein Hut, der auch vor Unwissenheit, aber auch vor Seifenwasser trieft. "Und du arbeitest für VICE, ja? Die haben ja auch mal krasseren Content gemacht." Der Typ hat anscheinend noch nie gefilzt. Hätte er wie ich fünf Stunden lang einen abnormal riesigen Hut geknetet, wüsste er, dass Filzen ziemlich krass ist. Krass anstrengend vor allem.
Anzeige
Es reicht dann jetzt auch
Letztes Kapitel: Der Buchbeutel
Anzeige
Vielleicht ist es das schon: Nicht ausrasten, etwas mit den eigenen Händen erschaffen und irgendwie … zur Ruhe kommen? Ist das Natur?Nach insgesamt 14 Stunden Filzerei habe ich drei Gegenstände erschaffen: Eine Blume, einen Hut und einen Buchbeutel. Ob es das jetzt wert war, weiß ich auch nicht. Stolz bin ich trotzdem irgendwie. Eine gute Seite hatten die zwei Filztage aber auf jeden Fall: Ich hasse Filz nicht mehr. Ich habe Frieden mit dem Gewebe geschlossen.