Der Echoborg
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Der Echoborg

Was passiert, wenn sich ein Mensch zum willenlosen Sprachrohr eines Chatbots macht—und welche Konsequenzen dieses Experiment für unseren Umgang mit Künstlicher Intelligenz hat..

Glaubt ihr, ihr könntet erkennen, ob jemand Mensch oder Computer ist? Klar, sagt ihr jetzt wahrscheinlich, weil ein Mensch aus Fleisch und Blut ist und eine Künstliche Intelligenz irgendwo zwischen Plastik und Lötplatten in einer Maschine haust.

Aber was passiert, wenn eine KI einen menschlichen Körper übernimmt?

Der Londoner Sozialpsychologie-Doktorand Kevin Corti hat genau das mit seiner Kommilitonin Sophia in einem spektakulären Experiment ausprobiert. Sie ist ein Echoborg: eine echte Person, die ihre Sprache und ihr Gehirn vorübergehend an einen Computer verliehen hat, um dessen Sprachrohr zu werden. Alles, was aus ihrem Mund kommt, sind die Antworten eines Internet-Chatbots. Sie werden ihr über ein Headset eingeflüstert.

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Wenn der Mensch zum Medium degradiert wird.

Die Fragen, die Kevin Corti dabei erforschen wollte: Können sich Roboter eines Tages in unsere Gesellschaft eingliedern, ohne, dass wir sie bemerken? Und wenn ja, was hätten wir dann noch für eine Grundlage, die künstlichen Intelligenzen geringer zu schätzen als uns Menschen?

„Wir begegnen KI immer in einem mechanischen Umfeld", erzählte mir der Forschungsleiter Kevin Corti über Skype. Genau deshalb wollte er „einen menschlichen Körper mit einem Roboterbewusstsein koppeln". Die Teilnehmer im Versuch sollten glauben, dass sie mit einem echten Menschen reden; eine reale Person treffen.

Das Experiment wurde am Sozialpsychologischen Institut der London School of Economics durchgeführt. Die eigentlich leichte Aufgabe: Unterhalte dich bitte mit der Frau im Raum für zehn Minuten.

Sophia Ben-Achour musste dafür zunächst die Speech Shadowing-Technik erlernen, mit der sie, ohne mit der Wimper zu zucken, die Worte des Chatbots in Echtzeit wiedergeben kann. „Das schwierigste daran ist, keine Hinweise mit dem Körper zu geben, die auf die seltsame Situation schließen lassen. Sophie durfte also nicht mit den Augen rollen oder rot werden", so Corti.

Es ist ein bisschen wie bei Borat: Du versuchst, die Normalität zu wahren, auch wenn der Typ vor dir sich gerade ziemlich bescheuert benimmt.

Das Ergebnis: Nur eine winzige Splittergruppe der Probanden kapierte, dass sie sich gerade mit einem Roboter unterhalten hatten. Stattdessen ließen die allermeisten Probanden das unangenehm steife Gespräch höflich weiterlaufen. „Nach dem Motto: Wenn es wie eine Ente läuft und klingt, ist es wahrscheinlich eine Ente", fasst Corti die Erwartungshaltung der Probanden zusammen.

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Und wie ist es so, unwissentlich mit einem Chatbot zu plaudern? Eher zäh. Hier ein Ausschnitt:

Echoborg: Mein Lieblingsfilm ist Imitation Game. Da geht's um mein Idol, Alan Turing.
Probandin: Was hat dir daran am besten gefallen?
Echoborg: Ich mag Obstbäume.
Probandin: Und, äh, waren da viele… Obstbäume im Film?
Echoborg (nach einer unendlich lang erschienenen Pause): Darüber können wir später reden.
Probandin: Ok…

Kevin Corti erklärte mir, dass er (und sein Doktorvater Dr. Gillespie) in drei verschiedenen Versuchsreihen mit über 100 ahnungslosen Teilnehmen vor allem zwei Forschungsziele verfolgten: „Erstens wollten wir sehen, wie Menschen diese extreme Persönlichkeit wahrnehmen und darauf reagieren." Experimente dieser Art, bei der man Menschen in eine abnormale Situation wirft, nennt man Überschreitungsexperiment.

Irgendwann gibt es keine objektiven Kriterien für das Menschsein mehr—außer dem Glauben, dass da ein Mensch vor uns steht.

„Es ist ein bisschen wie bei Borat: Du versuchst, die Normalität zu wahren und dich an Gesprächsnormen zu halten, auch wenn der Typ vor dir sich gerade ziemlich bescheuert und unerwartet verhält", erklärt Corti das Verhalten der Versuchsteilnehmer. „Sie versuchten, die Verschrobenheit des Gegenübers irgendwie wegzuerklären und Konfrontation zu vermeiden. Wir geben uns alle verzweifelt Mühe, normal zu wirken." Wir möchten niemanden vorführen—soziale Normen hindern uns daran.

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Zweitens wollen die Sozialpsychologen die Annahme in Frage stellen, dass alles, was uns menschlich macht, in unserer Sprache angelegt ist. Denn die Erscheinung einer KI kann unserer Wahrnehmung einen Streich spielen. „Wenn du nun einen atmenden Körper vor dir siehst und die Künstliche Intelligenz alle menschlichen Qualitäten der Sprache und der Emotion perfekt imitieren kann, was bleibt dann noch vom Menschen? Und welche Grundlage hätten wir noch, Künstliche Intelligenzen als Nicht-Menschen zu behandeln?"

Hier ist jemand sichtlich beeindruckt von dem Mann, der Menschen zu Computern macht. Bild: Screenshot Skype

Die Frage der Integration von KI in unsere Gesellschaft ist auch die Grundidee des Philip K. Dicks-Buches Do Androids Dream of Electric Sheep? — die Vorlage zum Film Bladerunner. Und sie ist eine Fortführung der Milgram-Experimente der 60er Jahre: Hören wir anderen Menschen wirklich zu oder verlassen wir uns nur auf sein Erscheinungsbild und haben ansonsten unsere vorgefertigte Meinung?

Der Unterschied ist: Sitzt uns etwas gegenüber, das wir für einen Menschen halten, verhalten wir uns natürlich völlig anders als vor einem Bildschirm oder einem klar erkennbaren Roboter. Den können wir links liegen lassen oder sogar treten, doch im Gespräch mit einem Menschen bauen wir eine ethische Beziehung auf—da wird es schon schwieriger, sich einfach so umzudrehen und zu gehen.

Denkbar wäre ein Augmented Mind—eine Art zweite Quelle für deine Gedanken, die im Internet Fakten nachschlägt und dir einflüstert.

Wie ging es denn nun Sophia Ben-Achour, der Psychologie-Studentin, die zum Sprachrohr des Chatbot wurde? „Sie hat uns erzählt, sie verstünde nun besser, wie sich Menschen mit Sozialängsten fühlten", sagte Corti. „Als könne man sich nicht richtig artikulieren, als würde jedes Gespräch stocken."

Auch ohne Künstliche Intelligenz im Ohr machen wir manchmal diese Erfahrungen der Entfremdung in der Kommunikation, meinte Corti: „Stell dir vor, du musst eine Mitarbeiterin feuern, Anweisung von oben. Du sitzt vor ihr und überbringst ihr diese Nachricht—kannst dich aber nicht so ausdrücken, wie es dir dein Instinkt vielleicht befehlen würde und sie trösten oder umarmen. Es sind nicht deine Worte, es ist nicht deine Nachricht, du bist nur das Medium. Das ist ähnlich."

„Die äußere Erscheinung der AI wird sich rapide weiterentwickeln, und mit ihr die Künstliche Intelligenz", sagte Corti und sinniert über praktische Anwendungen des Echoborg in der Zukunft: „Denkbar wäre zum Beispiel ein Augmented Mind, bei dem du sozusagen eine zweite Quelle für deine Gedanken außer deinem eigenen Gehirn hättest. Eine KI könnte dann Fakten für dich im Internet nachgucken und dir einflüstern."

„Unsere Körper können irgendwann kopiert werden, unsere verbale Kommunikation kann kopiert werden, alles. Es klingt paradox, aber dann gibt es keine objektiven Kriterien für das Menschsein mehr—außer unserer Überzeugung, dass da ein Mensch vor uns steht.", erläuterte Corti. Nicht nur für ihn ist das Verblüffendste an dem Echoborg-Experiment folgende Einsicht: Das schlussendliche Kriterium für das Menschsein ist keine physische Eigenschaft—sondern der Glauben an die Menschlichkeit.