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Meldung

Ein Paar "Damenschuhe" hat so gestunken, dass eine ganze Postfiliale evakuiert werden musste

"Bei einer Mitarbeiterin löste die Ausgasung Übelkeit und Erbrechen aus", sagt die Feuerwehr.
Foto: imago | Michael Eichhammer

Wenn du die Welt begreifen willst, musst du Polizeimeldungen lesen. Nirgends sonst bekommst du einen so direkten Einblick in den Wahnsinn, den die Menschen um dich herum jeden Tag veranstalten.

Die Polizei hat das selbst schon verstanden: In Berlin verbreitet sie zum Beispiel immer mal wieder in "24h-Live-Einsatztickern" einen Tag lang fast jeden Einsatz auf Twitter. Wer sie sich durchliest, merkt schnell: So etwas wie "normale" Tage gibt es in Berlin, aber wahrscheinlich auch im restlichen Deutschland, überhaupt nicht.

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Also: Auch die alltäglichen Meldungen der Behörden sind lehrreich und schön. Trotzdem gibt es immer wieder Nachrichten, die so komplett aus dem Rahmen alles Erwartbaren fallen, die solche Glanzstücke ihres Genres sind, dass sie zu einer völlig neuen Kategorie werden. Kenner nennen diese Meldungen "Weiße Wale", weil sie so selten sind*. Um ein echter Weißer Wal zu sein, muss eine Meldung alles mitbringen: einen völlig bizarren Vorgang, makelloses Behördendeutsch, perfekten Rhythmus. Dass man einen Weißen Wal vor sich hat, merkt man daran, dass sich Staunen und Freude durch jeden einzelnen Satz verdoppeln, so dass den Leser am Ende der Meldung ein fast übersinnliches Gefühl von Begeisterung, Dankbarkeit, Glück und schließlich Katharsis überkommt.

Ihr habt es erraten: Ich habe einen Weißen Wal für euch. Geschenkt hat ihn uns der Kreisfeuerwehrverband aus Calw in Baden-Württemberg. Lest und seid dankbar:

"Gegen 14.24 Uhr wurde im Postfinanzcenter in der Herrenbergerstraße in Nagold ein übel riechendes Paket festgestellt, das extreme Ausdünstungen aufwies. Die integrierte Leitstelle in Calw (ILS) alarmierte darauf die Feuerwehr Nagold mit dem Gefahrstoffzug, die Abteilung Vollmaringen und die Feuerwehr Wildberg mit dem ABC-Erkundungsfahrzeug. Bei einer Mitarbeiterin löste die Ausgasung Übelkeit und Erbrechen aus. Sie wurde in der Folge rettungsdienstlich versorgt. Ein weiterer Mitarbeiter verspürte ebenfalls Beeinträchtigungen der Atemwege. Sicherheitshalber wurde das Lager und ein Nebengebäude evakuiert."

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Und das, meine Damen und Herren, ist nur die erste Hälfte dieses Kunstwerks! Als würden wir nicht jetzt schon fast körperlich leiden, weil der Mensch für so viel Glück einfach nicht gemacht ist – es überlastet uns, so glücklich zu sein, es ist zu viel für unsere engen, verwucherten Herzen –, hat der Kreisfeuerwehrverband Calw noch einen ganzen weiteren Absatz verfasst:

"Ein Atemschutztrupp unter Chemikalienschutzanzug (CSA) ging in das Gebäude und nahm Messungen vor. Die Messgeräte schlugen aus und ein leicht beschädigtes Paket wurde gesichert und außerhalb des Gebäudes in von der Feuerwehr vorgehaltene Spezialbehälter eingelagert. Nach einer zweiten Messung wurde ebenfalls ein Ausschlag festgestellt. Um was es sich für einen Stoff handelte, konnte nicht festgestellt werden. Darauf entschloss die Feuerwehr, das Paket vorsichtig zu öffnen und ein Paar Damenschuhe kam zum Vorschein. Offensichtlich wurden die Schuhe aus dem Ausland geordert. Der Paketinhalt wurde erneut verpackt und der Polizei übergeben. Die nimmt nun Kontakt zu dem Adressaten auf.

Die Feuerwehr war mit 38 Einsatzkräften und 9 Fahrzeugen im Einsatz. Die Polizei war mit zwei Streifenwagenbesatzungen vor Ort."

Wow. Einfach wow. Eigentlich sträubt sich alles in mir, nach einem solchen Feuerwerk der Vollkommenheit selbst noch einmal das Wort zu ergreifen. Eigentlich gibt es dem nichts hinzuzufügen, aber … ich habe eben doch noch ein paar Fragen. Beziehungsweise: eine Frage. Was. Zur. Hölle?

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Die Frage setzt sich allerdings aus einer Reihe von ineinander verwobenen Unter-Fragen zusammen. Als da wären: Was sind das für Schuhe? Sind das getragene Schuhe? Warum wurden sie verschickt? Wo wurden sie hergestellt? Wie kann ein Schuh so stinken, dass eine Post-Mitarbeiterin sich übergeben muss? Und warum bereitet es mir als Mann so viel Genugtuung, dass es sich ausgerechnet um "Damenschuhe" handelt? Brechen sich da tiefsitzende Traumata aus dem Teenager-Alter Bahn, eine Art metaphysische Rache an all den Mädchen aus der Schule, die immer so unbestreitbar viel besser rochen als wir Jungen?

Im Grunde gibt es nur drei mögliche Erklärungen dafür, dass ein Paar Damenschuhe so stinken kann, dass es einen groß angelegten Feuerwehr- und Polizeieinsatz auslöst. Alle drei sind Lehrstücke über die Globalisierung. Die erste und naheliegendste: Die Schuhe sind ungetragen und wurden irgendwo in China hergestellt. Der kostenbewusste Fabrikleiter benutzte dabei eine dermaßen unglückliche Kombination von billigen Offbrand-Chemikalien, dass die während der Reise angefangen haben, miteinander zu reagieren. Dabei hat sich eine neue Substanz von so massiver Toxizität gebildet, dass sie die menschlichen Atemwege durch einen Karton hindurch angreifen kann. Aber obwohl das in diesem Fall die naheliegendste Erklärung ist, ist sie trotzdem unzufriedenstellend: Selbst der gewissenloseste chinesische Fabrikant kann dauerhaft keinen Profit machen, wenn seine Produkte den Kundinnen auf der anderen Seite der Welt die Füße schmelzen. An dem Punkt wäre wahrscheinlich selbst für Primark eine Grenze erreicht.

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Die zweite mögliche Erklärung: Die Schuhe sind ungetragen, kommen aber nicht aus China, sondern aus der Mongolei. Eine sozial engagierte Baden-Württembergerin hat die Schuhe bei einer dieser Fair-Trade-Etsy-Seiten bestellt, wo ihr zugesichert wurde, dass die Schuhe von bedürftigen mongolischen Nomaden in liebevoller Handarbeit aus an Altersschwäche gestorbenen Pferden genäht und anschließend von der Dorf-Schamanin mit einem Glücks-Zauber belegt werden. Normalerweise stimmt das auch, aber in diesem Fall hat der mit der Herstellung beauftragte Nomade sich am Vorabend so gnadenlos ins Koma gesoffen, dass seine Frau ihn um nichts in der Welt wach bekam. Aus Sorge, den Auftrag zu verlieren, zwang sie also ihren achtjährigen Sohn, das Paar Schuhe zu nähen. Leider wussten weder Sohn noch Mutter, wie man Pferdeleder richtig gerbt, so dass an der Innenseite der schließlich mehr schlecht als recht zusammengeschusterten Schuhe noch zahlreiche Fleischstücke hingen. Dieses Fleisch erreichte dann im Lagerraum des Nagolder Postfinanzcenters den kritischen Verwesungsgrad.

Die dritte, unheimlichste Möglichkeit: Die Schuhe sind getragen. Die Trägerin sitzt nicht in China oder der Mongolei, sondern in Europa (wahrscheinlich Frankreich) und bedient von dort aus einen kleinen, aber zahlungskräftigen Kundenkreis von Männern, die nichts erotischer finden, als an Schuhen von Damen mit grässlichen Käsefüßen zu riechen. Sie, die Trägerin dieser Schuhe, ist in der Käsefuß-Szene eine Legende: Männer schreiben nachts seitenlange Foreneinträge, um die unerreichte Intensität ihres Aromas zu preisen. Mit diesem Paar hat sie sich allerdings selbst so weit übertroffen, dass das Endprodukt schließlich einen körperverletzenden Grad von Gestank erreicht hat. Die Folge: europaweite Razzien, Verhaftungswellen, jahrelange Prozesse gegen Schuh-Ring-Mitglieder in olfaktorisch spezialgesicherten Verhandlungsräumen, am Ende eine Netflix-Serie.

Wollen wir das wirklich? Wollen wir Menschen verurteilen, vielleicht sogar ins Gefängnis stecken, nur weil sie anders sind? Weil wir abstoßend finden, was wir nicht verstehen? Nein, das wollen wir nicht! Wir fordern: Lasst die Schuhe frei! Händigt sie dem Empfänger aus, sichert die Gegend ab, und dann lasst ihn mit seinem Paket toxischer Zuwendung allein! Es muss Platz sein für jeden Menschen in diesem Deutschland – auch wenn er das Erbe seine Kinder verpulvert, um einer mittelalten Französin mit legendären Käsefüßen getragene Schuhe abzukaufen. Das ist Aufklärung, das ist die offene Gesellschaft, das ist das Europa, für das wir kämpfen müssen!

*Niemand nennt das so. Ich glaube, niemand interessiert sich auch nur ansatzweise so manisch für Behördenmeldungen wie ich. Meistens gehen die Menschen weg, wenn ich anfange, davon zu sprechen – vielleicht, weil ich mit meinem Gesicht dann immer zu nah an ihres komme und mich generell zu sehr begeistere. Aber wer braucht Freunde, wenn er Polizei-Ticker hat? Ich nicht!

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