Mein linker Zeigefinger zuckt. OK, denke ich, das war sicher ein Zufall. Meine Arme und mein Kopf fühlen sich schwer an wie Blei. Ich habe Angst, dass ich im nächsten Moment anfange zu sabbern, so entspannt bin ich. Mein Finger zuckt wieder. Dann spüre ich, wie sich meine nach oben geöffneten Hände wie von selbst und in Zeitlupe Millimeter für Millimeter nach innen drehen – als wären sie sich nicht ganz sicher, ob sie das wirklich wollen.
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Als ich zwanzig Minuten später die Augen öffne, haben sich meine Hände um 180 Grad gedreht. Das Wort "Geisterhand" könnte nicht passender sein. Ohne dass ich irgendwas gemacht habe, liegen meine Hände jetzt mit den Handflächen nach oben auf meinen Oberschenkeln. Das alles durch mein Unterbewusstsein. Und durch Hypnose.Ich sitze auf einem Stuhl in der Charlottenburger Praxis von Anne Dombrowski. Die Wände sind türkis, leise klassische Fahrstuhlmusik kommt aus dem CD-Player und ein Buddhakopf glotzt mich vom gegenüberstehenden Regal an. Ich habe mich gerade das erste Mal in meinem Leben hypnotisieren lassen – allem Anschein nach mit Erfolg.
Warum das Ganze? Ich habe Flugangst. Und da man sich anscheinend gegen alles hypnotisieren lassen kann (Nikotinsucht, Übergewicht, Angst vor öffentlichen Toiletten), wollte ich den Versuch wagen.Wir hatten zwei Termine ausgemacht. Meine Hypnotiseurin Anne, eine Heilpraktikerin für Psychotherapie, war mir sympathisch. Zuvor hatte ich das Internet eine ganze Weile nach passenden Hypnoseangeboten durchforstet. Mein Bauchgefühl hatte sich für eine Frau und gegen einen männlichen Hypnotiseur entschieden – schließlich wusste ich nicht, was auf mich zukommen sollte. Die Übung mit den Händen sollte mich mit der Hypnosemethode vertraut machen. Euphorisiert, wie ein Kind, das gleich Süßigkeiten bekommen soll, laufe ich also am nächsten Morgen in Annes Praxis. In der festen Überzeugung, meiner Flugangst nach der richtigen Hypnose für immer den Mittelfinger zeigen zu können.
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Die Schuld für meine Flugangst gebe ich außerdem meinem exzessiven Bingewatching von Dokus über Flugzeugabstürze. Sollten wir abstürzen, erwarte ich, kurz davor zumindest die Turbine als lodernden Feuerball zu sehen oder Flugbegleiterinnen, wie sie quer durchs Flugzeug fliegen.Dabei schaffe ich es bis zum Einstieg in den Flieger eine Art meditative Entspannung aufrechtzuerhalten. Doch sobald ich angeschnallt bin, das Flugzeug langsam auf die Startbahn fährt und die Turbinen bedrohlich aufheulen, mutiert die Maschine zu meinem persönlichen Kryptonit. Jedes Mal läuft es gleich ab: Meine Hände fangen an zu schwitzen. Ich kralle mich an die Armlehnen, als wären sie das Einzige, was mir Halt geben könnte, sollten die Wände des Flugzeugs in nächster Sekunde wegsprengen.
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Dann rast das Flugzeug die Startbahn entlang. Wir heben ab. Und ich? Spüre mein Herz gegen meinen Brustkorb hämmern, als würde es gleich rausspringen wollen, während mein Sitznachbar schnarcht. Ich hatte ein schönes Leben, schießt es durch meinen Kopf, aber sterben wäre jetzt doch irgendwie mies. Wie hoch war noch mal die Wahrscheinlichkeit abzustürzen? Und war dieses Geräusch eben normal? Natürlich weiß ich, dass es um einiges wahrscheinlicher ist, beim Brötchenholen von einem Auto zerquetscht zu werden, als abzustürzen. Doch Angst hält sich nicht an rationale Regeln, das spüre ich am eigenen Leib. Ein letztes Stoßgebet meinerseits, denn die Wände des Flugzeugs sind dünner als meine Oberschenkel. Wenn das mal kein Grund zur Panik ist.Auf dem restlichen Flug sind Turbulenzen meine absoluten Endgegner. Dabei habe ich schon einiges ausprobiert, um meine Angst zu bekämpfen: Mehrmals hatte ich den Spirituosen auf dem Service-Trolley schöne Augen gemacht, Tavor-Tabletten wie Smarties gegessen und Mediations-Apps installiert, die ich im entscheidenden Moment jedoch gar nicht mehr ernst nehmen konnte. All das führte mich in Annes Praxis.Zunächst will ich von Anne wissen, auf was ich mich da eingelassen habe. "Hypnose regt zur inneren Veränderung an, mithilfe des Unterbewusstseins", erklärt sie mir. "Ein Zielzustand kann zum Beispiel in Hypnose erlebt und dann wie eine reale Erfahrung im Gedächtnis gespeichert werden." Dabei soll der Verstand, der für den Willen verantwortlich ist, vom Unterbewusstsein getrennt werden. Denn er hindert uns daran, ins Unterbewusstsein einzudringen, das unsere Gefühle und Erinnerungen steuert. Mit anderen Worten: Wäre dein Unterbewusstsein das Berghain, wäre dein Verstand Sven Marquardt, der sich an der heiligen Pforte zu deinem Unterbewusstsein breitmacht.Es gibt mehrere Methoden der Hypnose. Anne wendet bei mir die suggestive Hypnose an, bei der es darum geht, Symbole und Bilder zu visualisieren. Demnach kann man sich Hypnose wie einen Traum vorstellen, in den man eingreifen kann, um seine Mindmaps zu verändern. Klingt für mich wie die Inspiration für Inception.
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Wie bei vielen Patienten spielt auch für mich der Kontrollverlust beim Fliegen eine große Rolle. Auch diese Angst lässt sich mit Hypnose bekämpfen. Wie oft man die Hypnose anwenden muss, sei bei jeder Angst und jedem Menschen anders, sagt Anne. Außerdem lerne ich, dass man alles bei der Hypnose mitkriegt. Ich kann also jederzeit ins Geschehen eingreifen und bin nicht willenlos.Bevor ich mich damit auseinandergesetzt habe, dachte ich bei Hypnose an Criss Angel und seine Mindfreak-Shows auf MTV, die ich als Teenie gesehen habe: Ein Schnips und der eigene Vorname war im Nirwana verschwunden. "Das sind Menschen, die vorher ausgewählt wurden und höchst suggestiv sind, also sehr auf Hypnosen anspringen. Das sind nur etwa fünf bis zehn Prozent", sagt Anne. Und Hängenbleiben auf Hypnose könne man auch nicht wirklich – falls ihr euch das auch schon immer gefragt habt. Mit diesem Wissen konnte ich getrost das Versuchskaninchen spielen. Ich war bereit für die Praxis.Entspannt lasse ich mich in den braunen Ledersessel gleiten und lehne mich zurück. Anne hält mir ein Pendel vor die Nase. Damit mache ich dem schielenden Opossum Heidi ernsthafte Konkurrenz: Das Pendel hängt in einem Winkel vor meinem Gesicht, der für meine Augen verdammt unangenehm ist. Ich kann den Ansatz meiner ungezupften Augenbrauen sehen."Deine Augen folgen dem Pendel und du begibst dich in einen Zustand völliger Entspannung", säuselt Anne und verfällt in eine monotone Stimmlage. Das Pendel soll dazu führen, dass sich der Verstand ausschaltet und man in die Hypnose übergehen kann.
Die Hypnose
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Ich schließe die Augen. Zunächst soll ich mir einen Ort vorstellen, an dem ich mich völlig sicher und wohl fühle. Ich wähle den idyllischen Garten meiner Großeltern. Ich beschreibe Anne, was ich sehe, und visualisiere so vor mich hin. Ich bin völlig klar und bei der Sache.Dann kommen wir zum Kern des Ganzen: Ich soll mir den Abflug vorstellen. Wie ich in den Flieger steige, mich hinsetze und wir auf die Startbahn rollen. Es dauert eine Weile, aber schließlich kriege ich schwitzige Hände, wie beim Anflug. Schlussendlich soll ich mir die Situation optimal vorstellen: Wie ich ganz entspannt in den Flieger steige, mit meinen Freundinnen quatsche und beim Flug gar nicht merke, dass ich ein paar Tausend Meter in der Luft bin.Während Annes Stimme mich leitet, warte ich darauf, in eine tiefere Sphäre einzutauchen und wie ein Tourist die dumpfen Höhlen meines Unterbewusstseins zu erkunden. Aber nichts passiert. Stattdessen fängt meine Nase an zu jucken. Krampfhaft versuche ich, den Kratzdrang zu unterdrücken, sonst platzt das ganze Ding womöglich noch komplett, denke ich.
Im letzten Schritt soll ich an beiden Orten gleichzeitig sein: körperlich im Flugzeug und im Kopf auf dem Grundstück meiner Großeltern, meinem sicheren Ort. Ich verstehe, was die Übung bewirken soll. Ich runzle die Stirn, als ich beschreiben soll, wie ich mich fühle. Anne ermahnt mich, nicht nachzudenken. Oh.Nach zwanzig Minuten sind wir mit der Hypnose durch und ich öffne die Augen. Ich bin entspannt, wie nach einer langen Zugfahrt, aber es fühlt sich ein bisschen so an, als wäre ich noch nicht angekommen: Denn ich fühle mich kein Stück anders. Ich bin weder in eine tiefe Trance gefallen, noch habe ich einen emotionalen Striptease hingelegt. Ich bin fast ein wenig enttäuscht.
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Erster Flug: Höhenflug
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Letzter Flug: tiefer Fall
Auf unserem Weg nach Hause sitzen wir für einen Kurzflug in einer kleinen Maschine. Ich habe die seltene (für mich jedoch fatale) Ehre, am Fenster zu sitzen. Dann gerät unsere Maschine in Turbulenzen. Und als hätte ich es geahnt, wie ein Pickel, der pünktlich vorm ersten Date auf der Stirn auftaucht, ist sie plötzlich wieder da: meine Flugangst. Erst merken es nur meine Sitznachbarn, die mir komische Blicke zuwerfen, dann sehe ich auch die Schweißabdrücke auf meinen Armlehnen. Der Aufprall auf dem Boden der Tatsachen kommt so heftig, wie in all den Flugzeugabsturz-Dokus, die ich mir so oft angesehen habe.Als ich schließlich mit zitternden Knien aus dem Flieger steige, möchte ich am liebsten den Boden unter meinen Füßen knutschen. Ich frage mich: "War das jetzt alles umsonst?"Ich sehe Hypnose nach diesem Versuch in erster Linie als ein mentales Training. An die positive Kraft von Gedanken glaube ich immer noch, doch anscheinend gehört mehr Übung dazu als eine einzige Hypnosesitzung. Vor allem muss man sich auf Hypnose einlassen, denn es ist sicherlich nicht für jeden etwas. Meine Hoffnung, eines Tages meine Flugangst besser in den Griff zu bekommen, gebe ich dennoch nicht auf. Bis dahin halte ich dem Flugbegleiter weiterhin bei jedem Gang ganz ungeniert meinen leeren Weinbecher hin.Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.