Dieser Künstler klaute 15 Jahre lang Silberbesteck von den reichen 1 Prozent
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Ausstellung

Dieser Künstler klaute 15 Jahre lang Silberbesteck von den reichen 1 Prozent

Das Ergebnis ist eine Ausstellung mit 40 Gabeln inklusive Essensresten und Speichel wohlhabender Gäste.

In David Finchers Verfilmung von Fight Club unterwandert die von Tyler Durden angeführte antikapitalistische Gruppe die Elite einer namenlosen Stadt, indem sie als Kellner der Reichen und Schönen arbeiten. Zwar spielt die Geschichte in den USA, doch die Stadt mit ihren reichen und radikalen Bewohnern könnte tatsächlich überall auf der Welt liegen. In den vergangenen 15 Jahren hat der Künstler Van T. Rudd einen ganz ähnlichen Krieg geführt wie der Protagonist des Films. Als Mitarbeiter in einem Fünf-Sterne-Hotel in Melbourne ließ er Gabeln mitgehen, mit denen die Superreichen der Welt sich die mühe- und kunstvoll zubereiteten Speisen zuvor in den Mund geschoben hatten.

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Das Ergebnis dieses jahrelangen Sammelprozess’ ist Rudds Ausstellung The Rich Forks: 40 Gabeln inklusive Essensresten und Speichel der wohlhabenden Gäste. In anderen Projekten hat Rudd bereits hyperreale Straßenskulpturen erstellt und politische Karikaturen gezeichnet. Die Gabeln hat er fast wie wissenschaftliche Präparate oder Museums-Exponate fein säuberlich mit Name und Datum katalogisiert. Die Sammlung umfasst Gabeln, die unter anderem von Prinz Harry, Rupert Murdoch und Richard Branson benutzt wurden. Und auch eine Gabel der aktuellen US-Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Hillary Clinton, darf natürlich nicht fehlen.

Wie so viele andere kreative Köpfe arbeitet auch Rudd schon seit Jahren im Gastgewerbe. In den späten 1990ern landete er er als Kellner in dem zuvor genannten, bekannten Fünf-Sterne-Hotel in Melbourne. (Rudd wollte The Creators Project weder verraten, um welches Hotel es sich handelt, noch, ob auch andere Künstler in das Projekt verwickelt waren.)

„Wie viele meiner Kollegen war ich es irgendwann echt leid, in langen, unberechenbaren Schichtdiensten zu arbeiten, für die ich noch dazu kaum etwas verdiente“, sagt Rudd. „Oft haben wir sehr reichen Menschen und/oder konservativen Politikern bei großen Firmenveranstaltungen erstklassiges Essen und den besten Wein serviert. Wir waren zwar theoretisch unsichtbar, aber doch immer sofort zur Stelle, wenn ihr versteht, was ich meine.“

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„Ich kann hier nicht zu viel darüber verraten, aber wir hatten tatsächlich zu jedem Besteckstück Zugang, auch zu denen der Superreichen“, fügt er hinzu. „In der Hotellerie ist das weltweit einfach Gang und Gäbe. Jeder Mitarbeiter hat leichten Zugang zu seinem gesamten Arbeitsumfeld. Es ist zum Beispiel ganz normal, reiche Unternehmerkunden bei großen Abendessen aus nächster Nähe zu bedienen. Man kann schon alleine durch Geflüster des Personals oder durch die Namensschildchen vermuten, wer zu Gast ist.“

Den Arbeitsprozess beschreibt Rudd als sehr mechanisch, obwohl er natürlich so immer wieder neue Ideen hatte. Es war aber nie geplant, aus den von Reichen benutzten Gabeln eine Ausstellung zu machen. Die Idee braute sich eher so in seinem Kopf zusammen, als er eine immer größere Abneigung dagegen verspürte, sich kaputt zu schuften, um die Elite zu bedienen, selbst aber zuhause fast verhungerte und es gerade mal so schaffte, die hohe Miete zu zahlen.

In dem Hotel kam Rudd dann auf den Gedanken, Dinge zu „ent-stehlen“. Es ging dabei eher darum, sich etwas zurückzunehmen statt etwas zu klauen.

„Angesichts der riesigen Mengen an Geld, die dem Großteil der Menschen seit der globalen Finanzkrise von diesem einen Prozent weggenommen wurden, scheint mir dieses Projekt mehr als gerechtfertigt“, sagt Rudd. „Schon ein Blick auf die Panama Papers reicht, um festzustellen, wie viele Trillionen Dollar die Reichsten ausschleusen, und sie finden immer neue Wege. Was machen da schon ein paar Gabeln aus?“

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Während der Sammelprozess über 15 Jahre dauerte, brauchte Rudd etwa zwei Jahre, um zu überdenken und zu planen, ob und in welcher Form er die Stücke ausstellen will. Zusammen mit seinen Kollegen hatte Rudd sich zunächst darüber Gedanken gemacht, ob das Material überhaupt ausgestellt werden sollte, und ob irgendjemand es sehen wollen würde. Zudem mussten sie auch erst die Rechtsgrundlage abklären.

Die Entscheidung, die Gabeln auszustellen, sei ihm nicht leicht gefallen. Er entschied sich nur unter der Voraussetzung dafür, dass die Ausstellung ein Kommentar zur unserer Klassen-Gesellschaft und nicht nur eine oberflächliche Zurschaustellung von „Memorabilien“ sein würde. Bevor er sich also mit seinem Projekt bei unterschiedlichen Veranstaltungsorten bewarb, tauschte er sich mit Künstlern aus der Kreativwirtschaft und mit Aktivisten für soziale Gerechtigkeit aus. Es stellte sich schnell heraus, dass die Ausstellung an einem Ort stattfinden müsste, der öffentlich finanziert oder von einer Gemeinde zur Verfügung gestellt wird, da die Gabeln ja irgendwie schon öffentliches Eigentum sind. So fand die Ausstellung Rich Forks im Footscray Community Arts Centre in Melbourne ihr Zuhause.

„Ich wollte, dass die Ausstellung nicht an einem Ort gezeigt wird, der wie fast alles in der Kunstwelt von diesem einen Prozent finanziert oder zumindest indirekt von ihm beeinflusst wird“, fügt er hinzu. „Die Leute fanden es toll, dass die Gabeln ihre Ausstellung bekommen würden.“

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Rudd beschreibt The Rich Forks als politischen und wirtschaftlichen Protest, mit dem er die Tür zu diesem exklusiven Club der Superreichen einen kleinen Spalt öffnen will, von dessen Existenz viele nicht einmal wissen.Rudd describes The Rich Forks as an act of political and economic protest. More than that, it’s meant to drive what he calls a “little wedge” into the exclusive club of the ultra-rich that not many people know exists.

„Deswegen ist es so wichtig, den Speichel und die Krümel auf den Gabeln zu lassen“, erklärt er. „So können wir ihnen mal zur Abwechslung etwas wegnehmen, statt immer nur zu geben. Sie fliegen in ihren Jets um die ganze Welt und betrachten es als selbstverständlich, dass es immer etwas Gutes zu essen gibt. Sie sehen aber nicht, wie viel menschliche Arbeit hinter all diesem Luxus steht.“

„Ich will damit sagen, dass diejenigen, die im Gastgewerbe arbeiten, auch Menschen mit eigenen Leben sind, denen es aufgrund der niedrigen Löhne schwer fällt, ihre Miete zu zahlen, und die oft auch verschuldet sind“, fügt er hinzu. „Die Ausstellung soll den Misstand aufzeigen, dass während solcher Firmenveranstaltungen von diesem einen Prozent über unser aller Zukunft entschieden wird, und wir dabei nichts zu sagen haben.“

Rudd versteht, warum viele Medien eher aufgrund der Bekanntheit der ehemaligen Esser über The Rich Forks berichten. Er hofft aber auch, dass die Besucher darüber hinwegsehen können und die wahre Bedeutung dahinter, nämlich einen kreativen Protest, erkennen. Seine bisherige Bilanz ist, dass einige Besucher ihr Verständnis darüber, was Künstler und Arbeiter schaffen können, neu überdenken.

„Vielleicht machen sich die Leute im Anschluss Gedanken darüber, wie das ganze System eigentlich funktioniert, wo die Entscheidungen getroffen werden, und über die horrende Ungleichheit, die in dieses System eingemeißelt zu sein scheint“, überlegt Rudd. „Ob die Menschen mein Projekt für Kunst halten oder nicht, ist mir relativ egal, obwohl die Diskussionen darüber bereits in den Social Media angekommen sind.“

„Ich hoffe, dass die Leute sehen dass, falls es als Kunst angesehen wird, es egal ist, dass die Gabeln geklaut sind“, fügt er hinzu. „In den letzten Jahrhunderten haben die reichsten Länder der Welt ihre Imperien nur durch die Ausbeutung armer und unterentwickelter Länder aufbauen können, und auch in ihren Museen ist der Großteil der Exponate geklaut. Ich hoffe, dass mein Projekt als eine Art umgekehrte Geste dieser Tatsache angesehen wird.“

Hier erfahrt ihr mehr über die Arbeiten von Van T. Rudd.