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Feminismus

Free Bleeding ist die feministische Provokation, die die Kunstwelt braucht

Wir haben mit der Künstlerin gesprochen, die während ihrer Menstruation die 42 Kilometer des London Marathons ohne Tampon gelaufen ist.

Alle Fotos: Myranda Mallenbaum

Kunst kennt im 21. Jahrhundert kaum noch Tabus. Dennoch gibt es noch immer Werke, deren Wirkung so provokant ist, dass sie von der etablierten Kunstwelt verschmäht werden—und gleichzeitig durch ihre schockierende Wirkung jede Menge Aufmerksamkeit für die Künstler bringen. Oft ist es feministische Kunst, die heute Tabus bricht, um ihre Botschaft unüberhörbar zu verbreiten. Kiki Smith und Judy Chicago sind nur zwei der Künstlerinnen, die mit unangenehmen und für manche Augen abstoßenden Arbeiten darauf hinweisen, dass Frauen schon viel zu lange ignoriert, übersehen und belächelt werden.

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Die gebürtige New Yorkerin Kiran Gandhi, Tourschlagzeugerin von M.I.A. und Thievery Corporation, bestritt im April „free-bleeding“ den London Marathon. Das bedeutet, sie legte während ihrer Menstruation die 42,195 Kilometer ohne Tampon zurück. Die Schauspielerin Rosie O'Donnell bezeichnete sie daraufhin als eine „radikale Feministin, die anderen durch ihr 'Fuck You' Mut macht“ und wetterte somit auch gegen den US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, der sich über die vermeintliche Geschmacklosigkeit selbstverständlich ereiferte.

Wir haben Gandhi in der vergangenen Woche getroffen, um mit ihr über die Macht des Schocks in der Kunst zu diskutieren und inwiefern Provokation für eine moderne feministische Agenda essentiell ist.

„Künstler setzen Provokationen und Schock als eine effektive Taktik ein, um Botschaften aus der Zukunft in öffentliche und soziale Diskurse einzubringen. Botschaften, die radikal sind und unsere Grenzen verschieben“, so erläutere uns Gandhi ihre Motivation. „Wir nehmen uns heraus, bestimme Lebensweisen als ok zu bezeichnen—andere als verwerflich. Wann haben wir denn bitteschön entschieden, dass eine blutende Nase ok ist, aber die Periode als eklig gilt? Das sind doch willkürliche Zuschreibungen.“

Gandhi entschied sich spontan dafür, den Marathon 'free bleeding' zu laufen. Ihr ging es dabei nicht um Performance-Kunst oder die Schlagzeilen: Sie bekam schlicht wenige Stunden vor dem Start ihre Tage und wusste, dass es unbequem sein würde, mit einem Tampon zu laufen.

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„Soll ich so tun, als würde meine Regel nicht existieren, damit andere sich wohl fühlen? Oder folge ich dem, was für mich am besten ist und richte mich nicht nach gesellschaftlichen Normen? Als ich meine Entscheidung vor dem Marathon traf, habe ich daran gedacht, dass wir Frauen unser eigenes Wohlbefinden ständig anderen unterordnen. Und das beste war, dass mein Körper es einfach durchgezogen hat. Ich bin einfach immer weiter gelaufen.“

Obwohl der Marathon selbst bereits im April stattfand, machte die Geschichte des free-bleeding-Laufs erst in den vergangenen Wochen Schlagzeilen. Besonders nach Donald Trumps frauenverachtenden Sprüchen über die Blutungen von Frauen (im Zuge der Debatte der republikanischen US-Präsidentschaftsbewerber) nahm die Diskussion um den Umgang mit dem weiblichen Körper erneut Fahrt auf. Gandhi lieferte das perfekte Gegenargument gegen die sexistischen Sprüche von Donald Trump.

„Oftmals schaffen Menschen es nur über ein Tabu zu sprechen, wenn sie es von sich selbst abstrahieren und auf jemand anderen projezieren können. Viele wollen nicht über ihre eigene Periode sprechen; sie brauchen aber dennoch einen sicheren Ort von dem aus sie sich äußern können“, erklärt Gandhi. „Ich wurde also zu einer Art Entschuldigung für manche Leute, sich mit dem Thema überhaupt zu beschäftigen. Nach meiner Aktion können die Leute sagen: 'Ich bin keine radikale Linke, wie diese verrückte free-bleeding Marathonläuferin, aber ich bin auch nicht rechtsaußen wie Donald Trump und würde Frauen wegen ihrer Tage beschimpfen.' Jetzt gibt es einen Rahmen, in dem sich eine Debatte entwicklen kann. So stößt du eine Diskussion an, in dem du sie mit einer Extremposition rahmst. Das ist die Macht der Provokation.“

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Die free-bleeding-Bewegung ist ein relativ neues Phänomen. Im März geriet sie erstmals in die Schlagzeilen, nachdem ein Instagram-Bild der Schriftstellerin Rupi Kaur gelöscht wurde, das ihre mit Blut befleckte Hose zeigte. Auch Künstler wie Jen Lewis, die mit ihrem Menstruationsblut zeichnet, Hannah Altmans Glitzerbomben-Fotografie oder auch Petra Collins Unterwäsche-Installation verleihen dem Genre der Menstruationskunst neue Aufmerksamkeit.

@sunhouseinc

A video posted by Kiran Gandhi (@madamegandhi) on Jul 19, 2015 at 1:50pm PDT

„Das Tolle an Kunst ist ja, dass sie ihrer Zeit 40, 60, 80 Jahre voraus ist. Kunst ist Fantasie und lebt an diesem flüchtigen, nicht realen Ort—deshalb kann sie so wirksam verändern, wie wir denken. Du kannst sie lieben oder hassen, oder gleichgültig sein und alles als Fantasie abtun. Das verleiht der Kunst Sicherheit. Ich glaube, das war der Wert des Schockeffekts meines Marathonlaufs.“

A photo posted by Flo (@xxgirlflu) on Aug 12, 2015 at 11:02am PDT

Kiran Gandhi hört nach dieser einen Provokation bestimmt nicht auf. Im Herbst veröffentlicht sie ihr erstes Soloalbum, Madame Gandhi, und ihr könnt euch auf ihrer Website über all ihre weiteren Projekte informieren.