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Popkultur

„Ich seh, Ich seh“ ist die Wiedergeburt des österreichischen Horrorfilms

Bisher sind zwei Kinobesucher in Ohnmacht gefallen.
Susanne Wuest spielt die Mutter in „Ich seh, Ich seh“. Bilder: Ulrich Seidl Filmproduktion.

„Ich seh, Ich seh“ ist ein österreichischer Psycho-Thriller von Veronika Franz und Severin Fiala. Vor der idyllischen Kulisse der österreichischen Berge folgt der Film einer Mutter (Susanne Wuest), die nach einer Schönheitsoperation mit in Bandagen verhülltem Gesicht zurück nach Hause zu ihren Zwillingssöhnen (Elias und Lukas Schwarz) kommt, die ihrer Mutter nicht glauben, wer sie ist. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. Nachdem der Film Anfang des Jahres in den österreichischen Kinos und im Juli in den deutschen Kinos startete, ist er jetzt auch in den USA zu sehen, wo er bereits durch den ersten Trailer ein riesiges Medien-Feedback auslöste.

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Wir haben per Skype mit den beiden Macherinnen des mehrfach preisgekrönten Werkes gesprochen.

The Creators Project: In den USA wurde gerade der Trailer zu eurem Film veröffentlicht. Im Internet machten daraufhin Schlagzeilen wie „Scariest Movie Ever“ die Runde. Was war eure Intention mit dem Film?

Veronika: Wir wollten nicht den unheimlichsten Film aller Zeiten machen. Es ist unbequem, diesen Film zu sehen. Man will hinsehen, aber gleichzeitig erträgt man es nicht, noch weiter zuzusehen. Das ist es, was wir mögen.

Severin: Wir wollten einen Film machen, den wir selber gerne sehen. Es gab keinerlei Marketingideen für den Film. Umso überraschter waren wir, als eine US-Firma ihn kaufte. Es freute uns, dass die Leute den Film anscheinend mochten. Hätten wir vorher nicht gedacht.

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Der Film hat eine Menge Awards auf verschiedenen Festivals bekommen. Nun ist er auch noch als österreichischer Beitrag in der Oscar-Kategorie „Bester ausländischer Film“ nominiert. Warum wart ihr also überrascht?

Veronika: In Österreich gibt es keine Tradition des Horrorfilms. Als der Film bei uns zuhause raus kam, interessierte das die Leute nicht besonders. Deswegen war es ziemlich lustig, dass der US-Trailer so durch die Decke ging und auf einmal eine Welle der Aufmerksamkeit nach Österreich zurückschwappte. Die Leute fragten uns auf einmal: „Wann kommt der denn ins Kino und wir meinten nur: 'War er schon!'“

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Eines der unzähligen unheimlichen Bilder aus „Ich seh, Ich seh“. Bild: Ulrich Seidl Filmproduktion.

Warum gibt es so wenige österreichische Horrorfilme?

Severin: Niemand hatte in den 80er und 90er Jahren Interesse an Horrofilmen. Österreich präsentierte sich lieber als Land des Kunstfilms. Alle dachten, dass Horrorfilme keine Storys hätten und voll von Klischees wären. Wir sind allerdings der Meinung, dass Horrorfilme die Gelegenheit bieten, bahnbrechende Geschichten über unsere Gesellschaft zu erzählen.

Die meisten österreichischen Filme entstehen mit Hilfe staatlicher Förderung. Wenn es eine generelle Abneigung gegen Horrorfilme gibt, wie habt ihr es dann geschafft, dass euer Film finanziert wurde?

Severin: Unser Film ist kein reiner Horrorstreifen. Irgendwie schafften wir es, die Finanzierung zu bekommen. Vielleicht ist es die Mischung aus Horror und Art House, die uns gut steht. Wir mögen Filme, die die Geschichten und Charaktere ernst nehmen. Filme, die nicht nur gemacht wurden, um dir Angst einzujagen, sondern auch ernste Themen ansprechen.

Welche Themen sind es, die „Ich seh, Ich seh“ anspricht?

Severin: Für uns ist das die Frage nach der Identität und dem, was die Person ausmacht, die du zu sein scheinst.

Veronika: Es geht auch um Familie. Um das Elternsein. Um die Verlust der Wahrheit. Über alle Teile innerhalb der Familie und wie sie miteinander kommunizieren.

Wie sehen euren eigenen Familien aus?

Severin: Ich habe einen Bruder, der mir sehr nahe steht. Meine Mutter zog uns immer die gleichen Klamotten an, so dass uns alle Leute für Zwillinge hielten.

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Veronika: Ich habe zwei Söhne.

Ok, ich sehe, da liegt also einiges an Inspiration. Aber was war die Voraussetzung für den Film?

Severin: Wir guckten ein Fernsehprogramm, in dem es um plastische Chirurgie ging. Die Mütter dort waren für drei Monate von ihren Familien getrennt, um eine neue Nase, neue Zähne und so weiter zu bekommen. Irgendwann kamen sie zu ihren Familien zurück. Das sollte dann eigentlich der große Glücksmoment im Fernsehen sein, aber wenn man in die Augen der Kinder schaut, sieht man, wie irritiert sie sind, wenn sie ihre Mütter wiedersehen. Es gab sogar eine Folge, in der ein Kind zu seinem Vater sagt: „Das ist nicht meine Mutter.“ Das war dann der Startschuss für „Ich seh, Ich seh“.

Familie und Identität sind sehr gut erzählbare Themen. Habt ihr diesbezüglich auch empirisch nachgeforscht?

Severin: Wir haben mit vielen Jungendpsychiatern gesprochen. Sie erzählten uns von noch viel schlimmeren Dingen.

Elias Schwarz und Lukas Schwarz behielten im Film für ihre Rollen ihre echten Namen’. Bild: Ulrich Seidl Filmproduktion.

Könnt ihr was zum Casting der beiden Zwillinge—Elias Schwarz und Lukas Schwarz—sagen?

Veronika: Wir riefen Schulen in Österreich an und fragten, ob sie Zwillinge in irgendeiner Klasse hätten. Wir luden schließlich 130 Zwillingspaare in unsere Büro ein, was irgendwie ziemlich gruselig war. Am Ende hatten wir drei Paare, die für den Film in Frage kamen. In der letzten Probe banden wir unsere Hauptdarstellerin an einem Stuhl fest und erzählten den Kindern, dass diese Person ihre Mutter entführt hätte und sie rausfinden müssten, wo ihre Mutter sei. Zwei der Zwillingspärchen begannen, die Frau auf dem Stuhl anzuschreien. Lukas und Elias allerdings nahmen sofort einen Stift in die Hand und piekten der Schauspielerin in den Arm. Das war sehr mutig für Kinder, vor allem da sie die Schauspielerin nicht kannten und ihren Respekt vor einem Erwachsenen ablegen mussten.

Elias und Lukas glauben nicht, dass die bandagierte Frau ihre Mutter ist. Bild: Ulrich Seidl Filmproduktion.