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Creators

Kreativität und psychische Störungen haben gemeinsame genetische Grundlagen

Eine Studie mit 87.000 Isländern hat herausgefunden, dass dieselben DNA-Sequenzen, die psychische Probleme hervorrufen, auch für extreme Kreativleistungen sorgen.
Bild: imago

Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander. Was Aristoteles schon vor 2500 Jahren beobachtete und Künstler wie Frida Kahlo oder Vincent van Gogh in ihren Lebenswerken eindrucksvoll zum Ausdruck brachten, ist nun erstmals wissenschaftlich bestätigt worden.

Zwar ist die vom isländischen Pharma-Unternehmen deCODE genetics in Zusammenarbeit mit dem Institute of Psychiatry, Psychology & Neuroscience (IoPPN) des Londoner King's College durchgeführte und letzte Woche veröffentlichte Studie bei weitem nicht das erste Mal, dass Forscher eine Verbindung zwischen Kreativität und Geisteskrankheit postulieren, doch konnte nun zum ersten Mal nachgewiesen werden, dass beide Phänomene auf gemeinsame genetische Grundlagen zurückzuführen sind.

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„Um kreativ zu sein, muss man anders denken als die Masse. Genau das tun auch Menschen mit einer genetischen Prädisposition für Schizophrenie"

Das Team um den isländischen Neurologen und Gründer von deCODE genetics, Kari Stefansson, führte die Studie in drei Schritten durch. Zunächst einmal wurde das Erbgut von 150.000 Patienten mit psychischen Krankheit wie Schizophrenie oder bipolarer Störung untereinander verglichen und analysiert. Man fand in den Genomen der Kranken übereinstimmende DNA-Abschnitte, die bei gesunden Menschen deutlich seltener vorhanden sind.

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Anschließend durchforsteten die Forscher die hauseigene Erbgut-Datenbank mit den medizinischen Daten von 88.292 Isländern nach den zuvor identifizierten DNA-Sequenzen. Sie fanden heraus, dass das Vorhandensein dieser Genomabschnitte das Risiko einer Schizophrenie um 50 Prozent erhöht und die Wahrscheinlichkeit, an einer bipolaren Störung zu erkranken, um knapp 35 Prozent steigert.

Der berühmte und psychisch kranke Maler Vincent van Gogh im Selbstporträt mit verbundenem Ohr, das er sich der Legende nach selbst abgeschnitten hatte | Bild: Wikimedia Commons | The Yorck Project | Gemeinfrei

Im letzten und interessantesten Teil der Studie ging es nun darum, diese für die Psychosen verantwortlichen DNA-Sequenzen speziell im Erbgut von Künstlern bzw. kreativen Menschen nachzuweisen. Als kreativ definierten die Forscher dabei Mitglieder nationaler isländischer Künstlervereinigungen, darunter Schauspieler, Tänzer, Musiker, visuelle Künstler und Schriftsteller. Über 1.000 von ihnen wurden untersucht, mit dem Ergebnis, dass ihre Erbanlagen die kritischen DNA-Sequenzen zu 17 Prozent mehr aufweisen als die von nicht kreativ tätigen Menschen.

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„Die Ergebnisse dieser Studie sind nicht unbedingt überraschend, denn um kreativ zu sein, muss man anders denken als die Masse. Genau das tun auch Menschen mit einer genetischen Prädisposition für Schizophrenie, wie wir in früheren Studien gezeigt haben", erläutert Stefansson.

Bestätigung fand dieses Ergebnis, als Stefansson mit seinem Team nach Abschluss der Studie die Daten von 8.000 Schweden und 18.452 Niederländern mit derselben Methodik analysierte. Hier lag die genetische Prädisposition einer psychischen Störung bei Kreativen sogar 25 Prozent über dem Durchschnitt.

Die Autoren schlussfolgern daraus, dass die Ursache für Kreativität in den Genen liegt und sich nicht—wie in der Vergangenheit angenommen—durch äußere Faktoren wie Bildung oder soziale Einflüsse entwickelt.

Dies würde auch erklären, warum sich die entsprechenden Merkmale bis heute im Genom gehalten haben, obwohl sie psychische Erkrankungen auslösen. Wie Robert Power, Co-Autor der Studie und Forscher am IoPNN erklärt, zeigen die Ergebnisse, dass die moderne Medizin sowohl psychische Störungen als auch überdurchschnittliche Kreativität als extreme Formen des Denkens und Fühlens betrachten sollte:

„Bei den meisten psychischen Störungen wissen wir wenig über die zugrunde liegenden biologischen Strukturen, die zu der Krankheit führen. Eine Idee, die in letzter Zeit immer mehr an Glaubwürdigkeit gewonnen hat, ist, dass diese Störungen einfach die Extreme des normalen Spektrums menschlichen Verhaltens widerspiegeln und keine eigenständigen Krankheiten. Durch das Wissen, welche gesunden Verhaltensformen, wie zum Beispiel Kreativität, die gleichen biologischen Grundlagen wie die Störungen haben, können wir die Gedankenprozesse, die eine Person krank machen, besser verstehen und herausfinden, was im Hirn schief läuft."