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Sexismus

Milo Moiré über Sex, Nacktheit und Psychologie

„Ich sehe darin ein Kunstwerk, das zu gleichen Teilen aus einer Performance und einem Publicity Stunt besteht. Eine neue Form des Ausdrucks, die irgendwo zwischen direkter Handlung und der Erfahrung, viral zu gehen, liegt.“

Dieser Artikel enthält nicht jugendfreie Inhalte.

Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Milo Moiré

Performancekünstlerin Milo Moiré lässt für ihre erotischen Inszenierungen gern alle Hüllen fallen. Ob nun nackt in einem Museum mit einem Baby in den Armen; unterwegs in der Düsseldorfer Tram mit nichts als den Bezeichnungen der fehlenden Kleidungsstücke auf ihrer blanken Haut; Nackt-Selfies auf dem Trocadéro Platz in Paris; oder in einer Mirror Box, durch die Fußgänger ihren Intimbereich anfassen können; die 33-jährige Schweizerin gibt sich gern provokativ. Mit PlopEgg #1 - A Birth of a Picture (2014) zog sie auf der Art Cologne den Zorn der Aussteller auf sich, als sie—natürlich nackt —vor dem Eingang zur Kunstmesse mit Farbe gefüllte Eier auf eine Leinwand „legte“ und so allen die Show stahl. Es war—wohl oder übel—unvergesslich.

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Moiré sagt, sie nutze die Nacktheit als Mittel zur Gleichberechtigung, und ihr Geschlecht als Quelle der Kreativität. Dennoch verkauft sie unzensierte Fotos und Videos ihrer Arbeiten auf ihrer Website Unlimited Muse. Vor kurzem hat Moiré, die ein Psychologiestudium absolviert hat, vor dem Kölner Dom mit einem Schild mit folgendem Schriftzug posiert: „Respektiert uns! Wir sind kein Freiwild, selbst wenn wir nackt sind!“ Dieser nicht gerade subtile künstlerische Beitrag, mit dem sie sich auf die Ereignisse der Silvesternacht in Köln bezog, half verständlicherweise nicht wirklich dabei, die Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen voranzubringen.

Sind ihre Performances nun also eine Art kommerzieller Exhibitionismus, ein Akt der Subversion und der Provokation, oder nur der Ausdruck ihres außergewöhnlichen Feminismus? Sind ihre Werke Kunst oder gar Prostitution? The Creators Project traf Moiré, um diesen Fragen auf den Grund zu gehen.

The Script System (2013), Dusseldorf, Allemagne

The Creators Project: Was ist dein Geheimnis, nach deinen Performances nicht krank zu werden?

Milo Moiré: Nichts besonderes—ich werde oft krank. Viele meiner Performances mache ich in Köln und Düsseldorf, und das sind nicht gerade die wärmsten Städte Europas. Wenn ich nackt bin, bin ich gleichzeitig sehr konzentriert, damit die Kälte nicht meine Performance ruiniert. Ich versuche, meinen Körper unter Kontrolle zu halten.

Als du in Paris auf dem Trocadéro Platz verhaftet wurdest, hast du besondere Bekanntschaft mit der Polizei gemacht.

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Ich habe 15 Stunden in Haft verbracht. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich im Gefängnis war und das Gesetz so plötzlich zu spüren bekam. Es war kalt; die Zelle war klein und schmutzig. Und dennoch wollte ich nicht schlafen. Ich wollte diesen Moment der Inhaftierung tiefgründig wahrnehmen. Das Paradoxe daran war, dass ich meiner Freiheit beraubt worden war, weil ich meinen Körper so eingesetzt hatte, wie ich wollte.

Wärst du in einem anderen Land gewesen, hätte die Sache noch ganz anders ausgehen können.

Natürlich, und tatsächlich musste ich im vergangenen Jahr eine Performance in Miami ablehnen, weil ich wusste, dass ich ein Einreiseverbot in die USA hätte bekommen können, wenn ich erwischt worden wäre.

Naked Selfies (2015), Moiré auf dem Trocadéro Platz in Paris, kurz vor ihrer Verhaftung.

Das französische Gesetz besagt, dass die „vorsätzliche, unsittliche Entblößung in der Öffentlichkeit mit einer Haftstrafe von bis zu einem Jahr und einer Geldstrafe in Höhe von 15.000 Euro geahndet“ wird.

Diese Art der Entblößung ist in Deutschland oder der Schweiz allerdings nicht verboten. Es geht mir nicht darum, die rechtlichen Grenzen der westlichen Gesellschaft infrage zu stellen, die meiner Meinung nach sowieso nicht gerade die schlimmsten sind, was Nacktheit angeht. Ich stelle auch nicht die allgemeine Moral infrage. Ich zelebriere lediglich Kunst, indem ich so lebe und meinen Körper so einsetze, wie ich es möchte. Das Herstellen von Öffentlichkeit ist für meinen konzeptuellen Ansatz so wichtig, weil meine Kunst so demokratisch und zugänglich wie möglich sein soll. Ich möchte, dass meine Kunst für alle frei sichtbar ist, nicht nur für eine begrenzte Anzahl von Besuchern der Galerien und anderen neu eröffneten Kunst-Institutionen. Außerdem ist die Welt der zeitgenössischen Kunst sehr männerdominiert. Ich möchte meine Kunst so vielen Menschen wie möglich präsentieren. Deswegen ist die Echtheit und universelle Dimension eines öffentlichen Platzes so essentiell für meine Kunst.

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Du hast Psychologie studiert. Beeinflusst das deine Kunst?

Dank der kognitiven Psychologie habe ich gelernt, wie man mit wissenschaftlicher Sorgfalt Dinge analysieren kann, ganz ohne moralisches Urteil, jenseits einer Ansicht über Gut und Böse. Diese Neutralität mache ich mir heute in meiner Kunst zunutze. Ich benutze sie, um eine globales Erlebnis zu erschaffen, eine universalistische Denkweise, die ich mit so vielen Menschen wie möglich teilen will. Ich habe zwar einen Abschluss in Psychologie, doch ich sehe mich selbst eher als humanistische Künstlerin. Das gleiche gilt für meine politischen Ansichten: Ich fühle mich als Feministin, weil ich beispielsweise an die Gleichstellung von Männern und Frauen glaube, doch ich richte mich nicht nur an Frauen. Meine Kunst richtet sich sowohl an Männer als auch an Frauen. Meine Arbeit ist voll von solchen Botschaften, doch sie werden nie über meine Handlungen siegen. Vor allen Dingen müssen diese Handlungen, diese Gesten, frei sein.

Wie reagieren die Zuschauer auf deine Performances?

Mit Empörung, Missverständnis, Infragestellung. Viele Leute ignorieren mich, manche haben Spaß an der Performance, und andere wiederum lachen. Auf dem Trocadéro Platz bei meiner Aktion Naked Selfies kamen die heftigsten Reaktionen von den Verkäufern vor dem Eiffelturm. Sie wurden mir gegenüber sehr aggressiv.

Dein Auftritt vor dem Kölner Dom nach den sogenannten Silvester-Übergriffen war sehr überraschend. Die Flüchtlingskrise spaltet Europa, und deine Performance Anfang 2016 hat den Anschein gemacht, als wolle sie die Debatte weiter anheizen.

Nach den Übergriffen hatten sowohl die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker als auch Polizeisprecher Frauen geraten, einen gewissen Abstand zu fremden Männern zu halten—„eine Armlänge Abstand“, wenn ich mich richtig erinnere. Aber seien wir mal ehrlich, in diesem Vorfall, wie auch in so vielen anderen, sind nicht die Frauen die Schuldigen. Wir haben nichts falsch gemacht. Es gibt keinen Grund, warum wir uns schuldig fühlen sollten, und ich glaube, dass meine Performance genau diesen Gedanken  betont hat.

Meine Äußerungen sind nicht politischer Natur. Die Botschaften „Wir haben nichts falsch gemacht“ und „Wir sind kein Freiwild“ gehen darüber hinaus. Ich sehe darin ein Kunstwerk, das zu gleichen Teilen aus einer Performance und einem Publicity Stunt besteht. Eine neue Form des Ausdrucks, die irgendwo zwischen direkter Handlung und der Erfahrung, viral zu gehen, liegt. Was die Gefahr, instrumentalisiert zu werden angeht; meine Eltern waren auch Immigranten. Doch die hohen Zahlen neuer Migranten machen unsere Integration noch schwieriger. Wirklich. Es gibt eine echte Krise, und die Ankunft neuer Gruppen, die weniger an unsere Indiviualrechte gewöhnt sind, sollte nicht dazu führen, dass dieRechte, die wir uns erarbeitet haben, gefährdet werden. Was das angeht, bin ich sehr wachsam.

Auf Milo Moirés Website erfahrt ihr mehr über die Arbeiten der Künstlerin [Link NSFW].