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Europa

So stellen sich Computer das Jahr 4017 vor

Die Künstler Constant Dullaart und Adam Harvey suchen mithilfe von neuronalen Netzwerken die kollektive europäische Identität.

Ein Döner Kebab via ConvNets für The European Classes. Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Constant Dullaart

Angesichts der wohl bald beginnenden Brexit-Verhandlungen und des generellen Erstarkens rechtspopulistischer und nationalistischer Stimmen kann man durchaus von einer Krise der europäischen Identität sprechen. Niemand weiß genau, was die Zukunft für den Kontinent in den nächsten fünf Jahren bereithält – sich zu überlegen, was vielleicht in 2.000 Jahren sein könnte, mutet da fast unmöglich an.

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Aber genau das haben das Goethe-Institut London und das Victoria & Albert Museum 12 internationalen Künstlern aufgetragen. Sie sollten sich für die Ausstellung Collecting Europe vorstellen, wie Europa im Jahr 4017 aussehen könnte. The European Classes des Niederländers Constant Dullaart war eins dieser Werke.

Dullaart, der uns in der Vergangenheit schon mit dem „langweiligsten" Tech-Startup aller Zeiten beglückt hat, konzentrierte sich bei seinem Ansatz auf die europäische Identität – insbesondere wie Künstliche Intelligenz diese beeinflussen und potentiell verfälscht wiedergeben kann. Dazu tat er sich mit dem Künstler Adam Harvey zusammen, der selbst schon einige auf Algorithmen basierende Werke erschaffen hat, um sich mit sogenannten Convolutional Neural Networks (ConvNets) auseinanderzusetzen, die Objekte in Fotos erkennen. Ihre Idee war es, die ConvNets dazu zu bringen, sich ausschließlich auf europäische Bilder zu konzentrieren und damit einen Bilderdatensatz des zeitgenössischen Europa zu schaffen.

Für ihr Projekt fragten sie offizielle Kulturinstitutionen nach Objekten, die ihrer Meinung nach relevant oder interessant für die momentane europäische Identität seien. Da die Antworten allerdings spärlich ausfielen, entschieden sich die Künstler schließlich dazu, eine eigene Auswahl zu treffen. Dazu besuchten sie diverse Tourismus-Seiten und schauten sich an, mit welchen Objekten die Länder dort repräsentiert wurden.

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Bilder der europäischen Identität via ConvNets für The European Classes

„Darauf folgte eine Phase des Image-Scrapings mit einem eigens gebauten Scraping-Tool für Google und Flickr von Adam Harvey", erklärt Dullaart. „Dann entwickelte Adam Harvey ein eigenes Beschriftungs-Tool, das das Studio und ausgelagerte Hilfe auf den Philippinen, Pakistan und Bangladesch umsetzten. In der aktuellen Revolution des maschinellen Lernens können sogenannte Convolutional Networks (ConvNets) bereits Objekte in Fotos erkennen. Das mag auf den ersten Blick eine triviale Erweiterung der bereits existierenden Möglichkeiten der Computer- und Onlinetechnologie sein, aber es ist ein wichtiger Schritt dahingehend, wie Menschen mit Repräsentationen und Darstellungen interagieren können. Die fortgeschrittene Fähigkeit, zum Beispiel eine Kuh von einem Pferd zu unterscheiden, entwickelt sich rasant in die Richtung, verschiedene Menschen und deren Laune erkennen und ihr Verhalten interpretieren zu können. Die Ausweitung dieser Interpretationen auf erlernte Erkennungsmuster in den ConvNets bringen komplexe ethische Implikationen mit sich, die dringend in den politischen Diskurs eingebracht werden müssen."

Die Installation für die Ausstellung besteht aus zwei Videoprojektionen, die Bilder zeigen, wie sie durch die impressionistischen „Augen" und die Surrealität der ConvNets gesehen werden. Vertreten sind sowohl typische wie auch weniger bekannte Aspekte der europäischen Kultur wie Finnlands Karelische Piroggen oder die umstrittene niederländische Tradition des Zwarte Piet. Die Inklusion dieser weniger bekannten, weniger touristenfreundlichen und oftmals nur abstoßenden Aspekte der europäischen Kultur ist deswegen so wichtig, da die ConvNets diese – in ihrer aktuellen Form jedenfalls – wahrscheinlich ausschließen.

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Bilder der europäischen Identität via ConvNets für The European Classes

Das liegt daran, dass die momentan existierenden Datensätze von Firmen wie Google betrieben werden. Sie werden in erster Linie für kommerzielle Zwecke zusammengetragen und lassen dabei die esoterischeren, abseitigeren und geschmackloseren Elemente eher aus. Nichtsdestotrotz ist jedes von ihnen für das Verständnis der aktuellen europäischen Identität und ihrer Zukunft wichtig—gerade in Zeiten des Umbruchs, wie wir sie gerade erleben.

„Diese multinationalen Unternehmen sind in ihrer Herangehensweise zur Repräsentation der Gesellschaft immer voreingenommen", sagt Dullaart. „Wenn ein Datensatz etwas repräsentieren soll, dann geht es nicht nur um die Dinge, die visualisiert werden, sondern auch um die unbequemen Teile der Geschichte, die eine Gesellschaft ausmachen. Es geht um Dinge, die wahrscheinlich nicht sehr oft dargestellt werden und deswegen nicht in einem Datensatz auftauchen, obwohl sei eine Gesellschaft genauso prägen und Teil des geteilten visuellen Bewusstseins sind. [Im Laufe des Projekts] wurde deutlich, dass Europas Identität so divers ist, dass sie sich kaum definieren lässt. Darüberhinaus sind die entsprechenden Kulturinstitutionen sehr zögerlich darin, derartiges zu tun."

Bilder der europäischen Identität via ConvNets für The European Classes

Mehr über die bereits beendete Ausstellung findest du auf der Website des Museums und des Goethe Instituts. Constant Dullaarts Website findest du hier und mehr über Adam Harvey findest du auf seiner Website.