Vermibus macht Models zu Monstern, um die Diktatur des Konsums zu bekämpfen

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Vermibus macht Models zu Monstern, um die Diktatur des Konsums zu bekämpfen

Als ehemaliger Werbefotograf hat der 27-jährige Künstler seiner alten Branche den Kampf angesagt und möchte den öffentlichen Raum von der "geistigen Umweltverschmutzung" allgegenwärtiger Reklame befreien.

Fotos mit freundlicher Genehmigung von Vermibus und OPEN WALLS Gallery

Vermibus ist ein Adbuster. Der 26-jährige kämpft gegen Werbung im öffentlichen Raum. Denn: „Werbung will, dass du unglücklich bist", ist der in Berlin lebende Spanier überzeugt. Und er weiß, wovon er spricht, denn er hat einige Jahre als Werbefotograf gearbeitet. Seine Waffen gegen die „geistige Umweltverschmutzung", wie er die Werbeplakate in den Innenstädten nennt, sind Lösungsmittel und ein Set aus 90 selbst geschweissten Metallschlüsseln. Damit bekommt Vermibus so ziemlich jeden Schaukasten von JCDecaux in Europa auf.

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Ende 2013 reiste der Künstler mit einem Interrail-Ticket achtzehn Tage lang durch sechs europäische Länder (wie oben im Film Dissolving Europe zu sehen), um die Werbeflächen luxuriöser Einkaufspassagen in Städten wie Brüssel, Paris, Mailand oder Wien zu kapern. Es sind die Herzstücke des Konsums, in denen Vermibus auf die Unmenschlichkeit der Werbeindustrie aufmerksam machen will. Mit ein paar geschickten Handgriffen öffnet er zunächst die Schaukästen und entwendet die Plakate, um sie anschließend in einem improvisierten, temporären Atelier zu bearbeiten.

Mit Hilfe von Lösungsmitteln dekonstruiert er die überästhetisierten Models, die uns laut Vermibus in Depressionen versetzten sollen, denn „glückliche Menschen kaufen nichts. Deine innere Leere füllst du dann mit einem Produkt." Durch die Auflösung von Fleisch und Gesichtern macht der Künstler aus den Models morbide Monster. Ihre Identität haben sie bereits durch das Fotoshooting verloren und gegen die einer Marke eingetauscht. Vermibus gibt den von der Werbeindustrie instrumentalisierten Personen ein Stück Individualität zurück und macht gleichzeitig Gewalt, Zerstörung und Verfall, die hinter dem allgegenwärtigen Konsumterror in unserem Leben stecken, sichtbar.

Nicht immer hängt Vermibus die Plakate an denselben Ort zurück. Denn er hat die Erfahrung gemacht, dass von ihm verfremdete Bilder in einer Stadt, in der die Originalkampagne unbekannt ist, noch viel stärkere Wirkung auf die Passanten ausüben. Er brachte deshalb diverse Poster aus Paris mit nach Berlin, um sie ein paar Wochen später in den Schaukästen der Stadt zu pltzieren. Wo genau sich sein Atelier befindet, hält Vermibus geheim, denn rechtlich betrachtet bewegt sich der Künstler in einer nicht ganz ungefährlichen Grauzone. Seine neuesten Werke sind derzeit in der Berliner OPEN WALLS Gallery im Stattbad Wedding ausgestellt.

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Anlässlich der Ausstellung, die im Rahmen der Berlin Art Week eröffnet wurde, haben wir dem Künstler ein paar Fragen zu seiner Arbeit gestellt.

The Creators Project: Du hast lange in der Werbebranche gearbeitet. Heutzutage bekämpfst du den Stil der Werbeindustrie. Hast du eine Idee, wie Werbung auf positivere Weise funktionieren könnte? Oder lehnst du jegliche Form von Werbung ab?

Vermibus: Zunächst einmal möchte ich klarstellen, dass ich Künstler bin und deshalb Fragen aufwerfe und die Gesellschaft, in der wir leben, in Frage stelle. Es ist aber nicht meine Verantwortung, Lösungen auf diesem Niveau anzubieten. Aber ich verrate euch gerne meine persönliche Meinung.

Ich denke, derzeit besteht der einzige mögliche Weg darin, Reklame komplett abzuschaffen. Das klingt wohl anmassend und utopisch, aber ich bin davon überzeugt, dass es für alle Menschen gut wäre. In Sao Paulo [seit 2007 ist in der brasilianischen Metropole auf Initiative des Bürgermeisters Werbung in der Öffentlichkeit verboten] ist die Utopie des komplett werbefreien, öffentlichen Raums bereits Wirklichkeit geworden. Es ist also möglich. Außerdem sind die Bürger absolut erschöpft von den ständigen Unterbrechungen im Fernsehen, Radio und Internet. Magazine sind zu reinen Werbekatalogen mit ein paar zusätzlichen Informationen geworden. Genauso Zeitungen, Blogs und andere Medien.

>> Intervention im öffentlich Raum auf die Spitze getrieben: Russische Skywalker kapern Werbetafel auf dem Dach eines Wolkenkratzers

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Theater ändern ihre Namen für den Namen einer Marke. Bezirksämter verkaufen den Namen von Plätzen oder U-Bahn-Stationen, wie es mehrmals in Madrid passiert ist. Die Bürger lehnen das ab, es vergiftet uns geradezu. Und auch für die Marken ist es kontraproduktiv. Sie würden ebenfalls von einer Veränderung profitieren. Marc Gobé [Entwickler des Emotional Branding] hat den Verzicht auf Werbung aus einer anderen Perspektive beleuchtet, die mir ehrlich gesagt pervers erscheint, weswegen ich sie auch nicht ansatzweise verteidigen möchte, aber sie ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der Verzicht auf Werbung ein Gewinn für alle wäre.

Mund-zu-Mund-Propaganda ist nach wie vor die beste Werbung und zwar aus einem einfachen Grund: Sie beinhaltet alle Charakteristiken einer guten Werbeanzeige, ohne eine Werbeanzeige zu sein.

Mit deiner Arbeit forderst du öffentlichen Raum für dich als Künstler zurück. Wenn alle öffentlichen Werbetafeln werbefrei wären, was sollte deiner Meinung nach auf diesen Flächen zu sehen sein?

Ich bin für 100% demokratischen und nichtkommerziellen öffentlichen Raum. Das Projekt MaSAT von Jordan Seiler in Madrid ist ein sehr gutes Beispiel. An dem Projekt haben nicht nur Künstler, sondern auch Rechtsanwälte, Soziologen, Lehrer und Blogger mitgewirkt. Diese Leute haben sich wirklich Gedanken darüber gemacht, was freier öffentlicher Raum bedeutet. Natürlich muss ein derartiger Prozess auf demokratische Weise von der Regierung angestoßen werden, so wie bei MaSAT, auch hinsichtlich der Kuration der Inhalte. Insgesamt ist das Ganze ein sehr komplexes Thema und erfordert eine sehr präzise Debatte. Eine einzelne Meinung, wie die meine, reicht da natürlich nicht.

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Du bleibst manchmal unauffällig im Hintergrund, nachdem du deine Werke aufgehängt hast, um die Reaktion der Passanten zu verfolgen. Welche Reaktionen sind dir besonders in Erinnerung geblieben?

Ich habe Reaktionen jeglicher Art gesehen. Leute, die auf den ersten Blick alles verstanden haben bis zu Leuten, die es überhaupt nicht interessiert. Die denkwürdigste Reaktion war aber ohne Zweifel meine eigene, als ich mein erstes Poster installiert hatte. Ich betrachtete es eher mit den Augen eines Bürgers als denen eines Künstlers und es hatte eine sehr tiefgehende Wirkung.

Am Anfang war mir nicht klar, was ich genau mache. Ich hatte meine Arbeit kaum reflektiert, aber irgendetwas in mir war bereit, es zu verstehen und als ich das Werk dann da hängen sah, begann ich darüber nachzudenken. Vielleicht gibt es Personen, die meine Arbeit gesehen haben, ob nun auf der Straße oder im Internet, und eine ähnliche Erfahrung hatten wie ich.