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Popkultur

Wir haben mit der Frau gesprochen, die ihr Gesicht in 25 Ländern photoshoppen ließ

Wir haben Esther Honig zum Interview getroffen und mit ihr über Schönheitsideale, Selbstwahrnehmung und die Schwierigkeiten bei der Durchführung ihres Projekts Before and After gesprochen.

Esther Honig erforscht weltweite Schönheitsideale. Als freie Journalistin und Social Media Managerin hat sie tagtäglich mit manipulierten Fotos im Internet zu tun. Kürzlich kam sie auf die Idee, von Kultur zu Kultur verschiedene ästhetische Ideale darzustellen.

Für ihre Fotoserie „Before and After“, die letzte Woche im Web viral explodierte, verfolgte sie einen simplen Ansatz. Sie schickte 25 Grafikdesignern aus verschiedenen Ländern folgende Zeilen:

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Hi, ich heiße Esther Honig. Könntest du bitte dieses Foto von mir in Photoshop zu bearbeiten. Ich vertraue darauf, dass du alles Notwendige  machst, um mich schön aussehen zu lassen.

Die Ergebnisse aus den einzelnen Ländern sind erstaunlich unterschiedlich. Augenfarbe, Kleidung, Haare und Hautschattierung gerieten unters digitale Skalpell der internationalen Grafikdesigner. Und so ist die pakistanische Esther eine ganz andere als die serbische oder die philippinische. Jedes Detail könnte etwas über die Kultur verraten, aus der der jeweilige Designer stammt–oder aber auch nur über seine persönliche Vorstellung von Schönheit. „Auch wenn es natürlich allumfassende Schönheitsideale gibt, hatten die Einzelpersonen, unabhängig von ihrer Kultur, unterschiedliche Vorstellungen davon, was das Wort Schönheit bedeutet.“

The Creators Project hat Esther zum Interview getroffen und mit ihr darüber gesprochen, wie es ist, 25 Mal neu interpretiert zu werden, welchen Einfluss Photoshop auf unsere Gesellschaft hat und was sie aus dem ganzen Projekt gelernt hat.

Bearbeitung aus den USA

The Creators Project: Welche Inspiration steckt hinter deiner Fotoserie Before and After? Was war der springende Punkt?

Esther Honig: Ich wollte mich in die allgemeine Diskussion mit einklinken und ein Bild von mir als Grundlage für das Experiment nehmen. Neue Geschichten und Bilder, die sich mit den Auswirkungen von Photoshop beschäftigen, tauchen ständig auf. Es gab jetzt keine konkrete Story, die mich inspiriert hat. Mir war nur klar geworden, auf welche Weise ich an der Diskussion teilhaben konnte. Ich lese sehr gerne und bin viel online unterwegs, also habe ich schon einen Haufen Zeug über Photoshop gelesen und darüber, wie es unerreichbare Schönheitsideale generiert. Was noch nicht besprochen wurde, sind die von Kultur zu Kultur unterschiedlichen Normen unerreichbarer Schönheit.

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Ich kam während meiner Arbeit als Social Media Managerin für ein Start-up auf die Idee. Mein Boss hatte mir Fiverr gezeigt, eine internationale Freelancer-Plattform, die Freelancer weltweit  für Projekte jeder Art vermittelt. Von Grafikdesign über Voice-Overs und Animationen bis zu Übersetzungen. Er bat mich darum, auf die Seite zurückzugreifen, um günstige Arbeitskräfte für meine Projekte zu finden. Ich machte mich mit der Webseite vertraut und stieß auf einige Hundert Leute aus dutzenden Ländern, die ihre Dienste in Photoshop anboten. Und ich dachte: Jeder Einzelne muss eine ästhetische Grundvorstellung haben. Wenn ich einigen von ihnen das gleiche Bild schicken würde, würden sie es auf unterschiedliche Art und Weise verändern. Dabei würden sie sowohl durch ihre jeweilige Kultur als auch ihre persönliche Vorstellung von Schönheit beeinflusst.

Ich schickte also ein Bild von mir gleichzeitig an vier oder fünf Freelancer und ich bekam von jedem ein faszinierendes Produkt zurück. Auch wenn ich in den Bildern nicht die Muster oder Archetypen von Schönheit erkennen konnte, die ich vermutet hatte, entschied ich mich, ein Projekt daraus zu machen, um die verschiedenen Schönheitsideale rund um den Globus zu untersuchen.

Bearbeitung von den Philipinen

Welche Art von Gesprächen hattest du mit den Leuten? War es so einfach wie „Mach mich mit Photoshop schön“ oder hast du ihnen einen detaillierteren Arbeitsauftrag gegeben? Wie hast du die Teilnehmer ausgewählt?

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Zuerst habe ich ihnen folgende Anfrage geschickt:

Hi, ich heiße Esther Honig. Könntest du bitte dieses Foto von mir in Photoshop zu bearbeiten. Ich vertraue darauf, dass du alles Notwendige  machst, um mich schön aussehen zu lassen.

In einigen Fällen fragten die Freelancer nach Beispielfotos. Ich sagte, sie sollten sich vorstellen, mein Foto müsste für die Veröffentlichung in einem Modemagazin in ihrem Land bearbeitet werden. Ich wollte, dass mein Arbeitsauftrag alle Optionen offen und den Freelancern so viel Freiheit wie möglich ließ. Ihre Arbeit sollte authentisch und möglichst wenig beeinflusst sein.

Ich wählte die Freelancer zufällig aus. Viele zeigten auf Fiverr Bilder aus ihrem Portfolio, aber einige der Bilder waren garantiert von anderen Webseiten geklaut. Es war ein Glücksspiel. Ich beauftragte also Leute, um mein Bild zu photoshoppen. Manche legten nur einen Filter drüber und ein bisschen Airbrush, andere gaben wirklich alles. Für die Veröffentlichung habe ich die stärker bearbeiteten Bilder ausgewählt. Ich wollte eine breit aufgestellte Repräsentation und mit so vielen verschiedenen Ländern arbeiten wie möglich. Jedes Mal, wenn ich einen Freelancer aus einem Land ausfindig machte, das noch nicht vertreten war, schnappte ich ihn mir.

Bearbeitung aus Kenia

Wie fühlst du dich jetzt, da das Projekt zu Ende ist? Ist es so gelaufen, wie du es dir vorgestellt hast?

Nein, es ist ganz anders gelaufen. Ich habe nicht die Muster gesehen, die ich erwartet hatte. Ich hätte das Projekt fast abgebrochen. Dann begann ich, es aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Ich merkte, dass die Leute nicht nur aus dem Pool an Schönheitsvorstellungen ihrer Kultur schöpften, sondern auch aus ihrem eigenen Sinn für Ästhetik. Und ich merkte: Auch wenn es natürlich allumfassende Schönheitsideale gibt, hatten die Einzelpersonen, unabhängig von ihrer Kultur, unterschiedliche Vorstellungen davon, was das Wort Schönheit bedeutet.

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>> Meist verschönert Photoshop die Realität. Fotokünstlerin Flóra Borsi hat den Spieß umgedreht:

Was war die größte Herausforderung an dem Projekt? Wie bist du mit den Sprachbarrieren umgegangen? Fiel es irgendjemanden schwer, das zu machen, was du von ihm wolltest?

Ich glaube schon, dass Sprache eine Barriere bei der Kreation dieser Bilder war. Wenn man nur per Email kommuniziert, kann man nicht sichergehen, was die andere Person versteht und was nicht. Den meisten Freelancern konnte ich auf Englisch schreiben. Bei einigen bin ich mir aber ziemlich sicher, dass sie Google Translate benutzt haben.

Einige Leute schickten mir Bilder, die sie kaum verändert hatten. Sie hatten vielleicht einen Filter und etwas Airbrush benutzt. Trotzdem sind es für mich repräsentative Arbeiten des Projekts. Sie sind einfach weniger interessant als andere Bilder.

Hat das Projekt irgendwelche kulturellen Unterschiede oder verschiedene Schönheitsideale auf der Welt offenbart oder hervorgehoben, die du nicht erwartet hattest? Gab es ein Bild aus einem Land, das dich besonders überrascht hat?

Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass jedes Foto von einer bestimmten Person bearbeitet wurde. Es ist schwer zu sagen, welchen Anteil die Kultur und welchen Anteil die Persönlichkeit hatte–es ist so faszinierend, die möglichen Einflüsse auseinanderzusortieren. Viele Fotos scheinen aus unterschiedlichen Epochen zu stammen–gefangen in einer bestimmten Zeit oder Mode, wie den retuschierten 70er oder dem Glamrock der 80er. Das Projekt zeigt, wann verschiedene Schönheitsideale verschiedene Orte unseres Planeten erreichten und wie sie dann entfremdet und umgewandelt wurden.

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Bearbeitung aus Pakistan

Welches bearbeitete Bild hat dir am besten gefallen? Welches hat dir gar nicht gefallen?

Das dynamischste Bild kam aus Marokko. Mit der Entscheidung des Machers, mich in ein Kopftuch zu stecken, erweiterte er den Schönheitsbegriff um ein neues Element, an das ich nicht gedacht hatte. Als ich das Foto aus den USA dagegen zum ersten Mal sah, musste ich schreien. Es war so extrem bearbeitet, dass ich mich fühlte, als würde ich in den Spiegel gucken und mich nicht mehr erkennen.

Was hast du persönlich durch das Projekt gelernt? Hat es deine Eigenwahrnehmung verändert?

Wenn man Before and After durchschaut, stößt man vielleicht auf Schönheitsmodelle, die die kulturellen Wurzeln des entsprechenden Designers widerspiegeln. Aber das hängt komplett von der individuellen Interpretation ab. Insgesamt habe ich gelernt, dass man mit Photoshop auch unerreichbare Schönheitsnormen erreichen kann. Wenn wir diese Normen weltweit vergleichen, bleibt das Erreichen des Ideals immer noch sehr schwer. Man verliert fast den Glauben, dass es eine universelle Schönheit gibt.

Um ehrlich zu sein, hat das Projekt meine Selbstwahrnehmung beeinflusst.  Mir war von Anfang an klar, dass das passieren könnte und es gefällt mir, wie es letztendlich gekommen ist. Es hat mich aufmerksamer werden lassen für Dinge wie meinen ungleichmäßigen Hautton, der von fast jedem Freelancer retuschiert wurde. Oder, dass meine Augenbrauen überdurchschnittlich dick sind–sie wurden oft ausgedünnt und gefärbt.

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Before and After war ein ganz anderer Prozess als meine journalistische Arbeit. Ich habe einen Platz zwischen Selbstreflexion, Gesellschaftskommentar und Fotojournalismus gefunden, der perfekt auf Social-Media-Kanälen funktioniert. In Zukunft würde ich gerne mehr meiner Arbeit als Journalistin auf diese aufstrebenden Plattformen bringen.  Sie scheinen unsere Zukunft zu sein, was Interaktion und Informationsbeschaffung angeht.

Bearbeitung aus Marokko

Mit welchen Ideen spielst du für dein nächstes Projekt? Wie hat Before and After deine Zukunftspläne beeinflusst?

Ich bekomme stündlich neue Bilder von fremden Leuten, die mir den „Gefallen“ getan haben, mein Foto offline zu bearbeiten. Der ursprüngliche Zweck ist dabei verloren gegangen. Den neuen Bearbeitungen liegen all die Artikel zugrunde, die über das Projekt gepostet wurden. Trotzdem sind die Veränderungen noch immer interessant und aufschlussreich. Die Leute, die mir jetzt Bilder schicken, haben sich vielleicht sogar noch tiefer mit ihrer eigenen Kultur und ihren persönlichen Schönheitsvorstellungen auseinandergesetzt. Es gibt definitiv Potenzial, das Projekt weiter auszubauen. Ich habe überlegt, wie ich das Projekt neu strukturieren könnte und zum Beispiel das Foto einer anderen Person integrieren oder mit Photoshop-Profis arbeiten könnte–die Freelancer waren ja alle Amateure.

Bearbeitung aus Chile

Fotos mit freundlicher Genehmigung von Esther Honig