Mit dem 3D-Drucker gegen den IS
King Uthal Statue. Bild: Morehshin Allahyari

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Mit dem 3D-Drucker gegen den IS

Der IS will mit seiner Zerstörung bedeutender historischer Schätze die Geschichte kontrollieren. Die iranische Aktivistin Morehshin Allahyari will das mit ihren 3D-gedruckten Replikaten verhindern.

Dutzende Männer fallen in die heiligen Hallen ein. Sie werfen alles um, was ihnen in die Finger kommt und hinterlassen eine Spur der Zerstörung. Bewaffnet mit Vorschlaghämmern, Bohrmaschinen und Handkameras legen sie die Artifakte von unschätzbarem Wert in Schutt und Asche. Die wenigen Bruchstücke, die von den antiken Assyrischen Steinskulpturen zurückbleiben, werden schnell von Plünderern eingesammelt und sind bereits kurz nach dem Verschwinden des IS auf dem Schwarzmarkt verscherbelt.

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Es ist ein Szenario, dass sich angesichts des Vormarsches des IS noch häufiger zu wiederholen droht. Die IS-Ideologie bringt nicht nur den Menschen in den eroberten Gebieten, sondern auch für das reiche Kulturerbe der Region nichts als Zerstörung. Nach der Eroberung der syrischen Oasenstadt Palmyra soll der IS erneut ein grausames Massaker angerichtet haben, dem inzwischen laut unbestätigten Angaben über 400 Menschen zum Opfer fielen. Wenn der IS mit der Auslöschung der Kritiker fertig ist, besteht mehr denn je die Gefahr, dass er auch das Weltkulturerbe der Ruinenstadt zerstört, da Palmyra die antike Verbundenheit zwischen dem römischen Westen und dem Orient verkörpert.

Der 3D-Drucker macht den Kulturvandalismus des IS wirkungslos

Mit dem Kulturvandalismus des IS will sich die iranische Aktivistin Morehshin Allahyari nicht länger abfinden: Sie hat begonnen, einige der zerstörten, jahrhundertealten Objekte zu remodellieren und mit Hilfe von 3D-Druckern für immer rekonstruierbar zu machen. Bald will sie ihr Programm auch online verfügbar machen, so dass jeder mit einem 3D-Drucker die zerstörten oder bedrohte Artefakte massenweise reproduzieren könnte.

Dabei geht es Allahyari nicht nur um die wertvollen Statuen, sondern auch darum, dem IS die Macht zu entreißen, über die Geschichte herrschen zu können—denn um nichts anderes geht es dem IS bei den Zerstörungen: jene Erinnerungen austilgen, die nicht zu seiner Ideologie passen.

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Das Bild unten ist nur ein Ausschnitt des Videos, in dem Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates (IS) das Nineveh Museum im irakischen Mosul stürmen, um die dortigen Ausstellungsstücke zu zerstören. Dieser Akt der Gewalt ereignete sich im Februar 2015, als der IS beschloss, die zu Götzen erklärten Kunstschätze verschwinden zu lassen. Die Skulpturen werden zerstört, weil sie von einer Vergangenheit zeugen, die nicht zu jener Geschichte passt, an die sich der IS zur Legitimation seiner Gräueltaten klammert.

Screenshot aus dem IS-Video

Kriege und Konflikte waren schon immer auch eine Gefahr für historische Artefakte und Skulpturen. Die Geschichte bietet zahllose Beispiele für die gewalttätige Inbrunst zerstörerischer Mobs und Soldaten: der Brand der Bibliothek von Alexandria, die Zerstörung der Buddha-Statuen durch die Taliban in Bamiyan, der Kampf der Nazis gegen sogenannte „entartete Kunst". Innerhalb weniger Minuten werden die mühevollen, in teilweise jahrhundertelanger Arbeit zusammengetragenen Sammlungen zu Bruchteilen und Scherben.

Doch im digitalen Zeitalter kämpfen Archivare nicht mehr mit stumpfen Waffen: Datenzentren auf der ganzen Welt bieten für wenig Geld die Möglichkeit unser kollektives Gedächtnis in riesigen Archiven zu sichern. Morehshin Allahyari, eine iranische Künstlerin, Pädagogin und Aktivistin, möchte diese Möglichkeiten nun nutzen, um per 3D-Druck die vom IS zerstörten Kunstwerke zu rekonstruieren und dauerhaft zu konservieren.

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Zur Zeit arbeitet Allahyari an der digitalen Herstellung von Skulpturen für eine Serie namens „Material Speculation". Die Arbeit produziert sie als Teil eines künstlerischen Residenzprogramms bei Autodesk Pier 9. Der erste Teil der Serie heißt „Material Speculation: ISIS". Dabei werden nach intensiver Recherche Statuen, die im Jahr 2015 vom ISIS zerstört wurden, remodelliert und wieder hergestellt.

Doch Allahyari will nicht nur verlorene Objekte replizieren: Sie möchte ihr Verfahren zur Rettung der Objekte jedem zugänglich machen. In jeder der 3D-gedruckten, semi-transparenten Statuen wurde auch ein USB-Stick eingearbeitet, auf dem Allahyari sowohl ihre Recherche zu den Artefakten als auch die Grundzüge ihres 3D-Tools beschrieben hat. Bald soll es von den Daten auch eine Online-Version geben.

Screenshot

„Material Speculation: ISIS" ist also nicht nur ein metaphorischer Angriff gegen den IS, sondern auch ein praktischer. Allahyaris Arbeiten sind vergleichbar mit anderen datengestützten Bemühungen zur Bewahrung der Schätze. So versucht zum Beispiel eine kleine Gruppe Freiwilliger mit dem webbasierten Project Mosul mit Hilfe von Crowdsourcing dreidimensionale Artefakte auf Basis von Fotografien nachzubilden.

„Ich habe mich die letzten drei Jahre damit beschäftigt, wie 3D-Drucker als poetische und praktische Werkzeuge zur digitalen und physischen Archivierung und Dokumentation verwendet werden können", erzählt Allahyari. „Es wurde für mich immer bedeutsamer, über Wege nachzudenken mit denen ich Informationen sammeln und diese für unsere und zukünftige Zivilisationen bewahren kann."

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King Uthal Statue. Bild: Morehshin Allahyari

Allahyaris Herangehensweise ist im Gegensatz zu anderen offiziellen Reaktionen und Aufrufen ruhiger, aber dennoch radikaler. „Es gibt eine lange Geschichte der Zerstörung von Kunstwerken als politisches Machtwerkzeug, als Mittel, eine neue Realität für die Gegenwart und Zukunft zu entwerfen", merkt sie an. Das Projekt fungiert als ein Sicherheitsnetz gegen diese Art der Zerstörung und ihren Versuch, die Geschichte neu zu schreiben.

„Material Speculation: ISIS" ist deshalb so bedeutsam, weil es den Hintergrund für die zerstörerischen Aktionen des IS direkt attackiert: den Willen, die Geschichte kontrollieren zu können. Christopher Jones, Doktorand für antike Geschichte im Nahen Osten an der Columbia University in New York, schreibt auf Hyperallergic:

Durch Auslöschen aller Beweise der vor-islamischen Vergangenheit ebenso wie alternativer Interpretationen des Islams erhofft sich ISIS, eine neue Welt zu erschaffen, in der das Wissen eines jeden Glaubenssystems, mit Ausnahme des eigenen, für immer in Vergessenheit geraten ist. Aus diesem Grund ist die Dokumentation der verlorenen Dinge noch wichtiger. Es ist nicht nur entscheidend für zukünftige Forschungen, es hilft die Erinnerungen daran zu bewahren, was ISIS zu zerstören versucht.

Lamassu Statue. Bild: Morehshin Allahyari

In Zusammenarbeit mit dem Künstler und Autor Daniel Rourke entwarf Allahyari „The 3D Additivist Manifesto," ein Videokunstprojekt und Aufruf an Aktivisten, Ingenieure und Autoren, die konzeptionellen physischen Grenzen des 3D-Druckers zu erweitern. (Es können zur Zeit Ideen eingereicht werden, die dann in einem „Cookbook" für 3D-Druck-Projekte veröffentlicht werden.) „Ein wichtiger Aspekt unseres Manifests konzentriert sich auf experimentelle, radikale und kritische Nutzungen des 3D-Drucks", schreibt Allahyari. „Wie wir uns damit beschäftigen könnten, um es zu einem Werkzeug für Veränderungen in eine bessere politische, ökologische und soziale Zukunft werden zu lassen."

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Doch das Projekt beinhaltet auch weniger direkte politische Botschaften. Allahyari sagt, ihre Arbeit sei teilweise auch von Reza Negarestani beeinflusst worden, der in Cyclonopedia: Complicity with Anonymous Materials die Allgegenwart von Öl als „Unterströmung aller Berichte, nicht nur der politischen auch der ethischen über das Leben auf der Erde" beschreibt. Auch wenn Geld durch Öl ISIS und andere militante Gruppen im Mittleren Osten sowie gleichermaßen die westlichen Interessen an der Region antreibt, und wir damit unsere Umwelt zerstören, scheinen wir hoffnungslos davon abhängig zu sein.

Auch der 3D-Druck selbst ist auf Plastik, welches mit Hilfe von Öl hergestellt wurde, angewiesen. Die historischen Repliken sind also nicht nur eine Antwort auf die Barbarei des IS, sie reflektieren ebenso einen Fortschritt, der für unsere Geschichte keinen großen Nutzen bietet: die Besessenheit des neuen Technokapitalismus, der sich nie vollständig von den zerstörerischen Systemen und den alten Praktiken frei machen kann.

Titelbild: Morehshin Allahyari; Mit freundlicher Genehmigung.